Es ist der wohl größte Medien-Fake der deutschen Nachkriegsgeschichte: 62 Bände Hitler, der Führer in seinen eigenen Worten! Das Hamburger Magazin "Stern" hat da 1983 zweifelsohne eine Sensation am Haken. Leider alles gefälscht... In der Rückschau ist klar: Der Skandal um Hitlers angebliche Tagebücher sticht mitten hinein in jene eitrige deutsche Blase, die sich Vergangenheitsbewältigung nennt. Und ein Lehrstück in Medienethik ist er obendrein. Denn der "Stern" ist auch deshalb auf den Schwindel hereingefallen, weil man so einige Standards journalistischer Sorgfalt schlankweg missachtet hat. Auf die Tagebücher aufmerksam wird der "Stern" durch Gerd Heidemann, Starreporter des Blatts, aber seit einiger Zeit in Geldnöten. Schon das müsste misstrauisch machen – stattdessen richtet der damals zuständige Ressortleiter jenseits aller redaktionellen Kontrollinstanzen ein Geheimprojekt für die Vorbereitung des Scoops ein. Und er gibt sich damit zufrieden, dass Heidemanns Kontaktperson die genaue Herkunft der Tagebücher lange im Dunkeln lässt. Diese Kontaktperson wiederum, die unter falschem Namen mit Heidemann verkehrt, ist der Kunstfälscher Konrad Kujau. Merkwürdig ist vieles an der Sache: Hitlers Vertraute haben ihn nie beim Tagebuchschreiben gesehen? Wo waren die Bände so lange gewesen? Und wieso in aller Welt kleben auf den Kladden die Initialen "FH" statt "AH"? Konrad Kujau – und das ist das wunderbare Quäntchen Absurdität in dem Skandal – weiß auf das alles und noch viel mehr eine Antwort. Die klingt zwar meistens zu schön, um wahr zu sein, wird aber von allen Beteiligten gern geglaubt. Nicht einmal zwei Wochen nach Veröffentlichung macht das Bundeskriminalamt dem Spuk ein Ende. Das Material der Tagebücher, so ein Gutachten, sei zweifelsfrei Nachkriegsware – also viel zu jung, um von Hitler selbst beschrieben worden zu sein. Eine Untersuchung, die man fürwahr schon deutlich früher hätte anstellen können.