Ein Kommentar von Hermann Ploppa.
Der Begriff „Verwahrlosung“ wurde früher auf Personen angewandt, die sich komplett gehen ließen und keine Struktur mehr in ihr Leben bringen konnten oder wollten. Doch was ist, wenn eine ganze Elite verwahrlost? Und wenn dabei die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen wird?
Zurück in Deutschland. Vorher zwei Wochen Urlaub in Kroatien und Montenegro. Wunderschöne Ausblicke. Klar. Das ist Urlaubs-Disneyland. Jetzt können wir wieder heizen auf bayerischen Autobahnen.
Doch schnell ist das Vergnügen zu Ende. Die Autobahn A3 zwischen Nürnberg und Würzburg ist komplett gesperrt. Wir dürfen uns über siebzig Kilometer auf Bundesstraßen und geschlossene Ortschaften quälen. Mitten in der Nacht. Nun müssen wir auch noch tanken. Auf der Tankstelle bietet sich uns ein bizarres Sozial-Gemälde. Die Kassiererin dieser Tankstelle ist total aufgedonnert und ihr Verhalten erinnert an professionelle Damen. Ich muss übrigens ein Euro sechsundneunzig für den Liter Benzin berappen. In Kroatien habe ich für die selbe Flüssigkeit lediglich 1,58 Euro bezahlen müssen, und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. In Ungarn kostet der Liter Superbenzin 95 lediglich 1,34 Euro. Der Preis wird nämlich in diesen kleinen machtlosen Ländern von der Regierung festgelegt. Und offensichtlich können die Ölkonzerne auch damit sehr gut leben. Doch die erheblich mächtigere deutsche Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf, die ökonomisch in keiner Weise zu begründenden Wucherpreise zu deckeln. Die Tankstelle hier in der fränkischen Provinz ist offensichtlich der Treffpunkt für junge Männer mit bayrischen Luxuskarossen mit bulgarischen Kennzeichen. Diese gut genährten Könige des roten Lichts scheinen sich hier zu einer improvisierten „Fachkonferenz“ zusammengefunden zu haben.
An einer weiteren deutschen Tankstelle haben parkende LKWs einfach die Zufahrtswege gesperrt. Während hunderttausende Güterwaggons auf Abstellgleisen vor sich hin rosten, finden die neu zugelassenen Sattelschlepper keinen Parkplatz mehr. Die aus allen Teilen Osteuropas rekrutierten LKW-Fahrer schlafen hier dem Sonntagabend entgegen. Dann dürfen sie endlich weiterfahren. Hunderttausende isolierte, mit Schoka Kola und Red Bull wach gehaltene Männer sausen in alle Himmelsrichtungen. Völlig einsam. Sehen Frau und Kinder nur gelegentlich.
Wir sind wieder in Deutschland. Wir lieben dieses Deutschland. Denn es ist trotz seines unberechenbaren Wetters unendlich schön mit seinen alten Städten und dieser abwechslungsreichen Landschaft. Aber was ist hier seit einigen Jahren los? Die Menschen sind genervt. Am Limit. Ausgebrannt und in der inneren Kündigung. Wer kann, wandert aus. Es ist wirklich seltsam. Nichts geht mehr.
Beruf: Stau-Bildner
Fangen wir mit dem Verkehr an. Man könnte versucht sein zu glauben, die Planer dieser Verkehrskatastrophe hätten sich in den Kopf gesetzt, die Nerven ihrer Landsleute nach allen Regeln der Kunst zu piesacken. Da werden andauernd neue Baustellen auf den Fernstraßen aufgemacht. Die Sperren sind schon lange da. Die entsprechenden Baumaschinen lassen allerdings Monate auf sich warten. Und wenn die Baumaschinen dann endlich da sind, passiert deswegen doch noch lange nichts. Im heiteren Beruferaten können wir den Beruf des „Stau-Bildners“ ausfindig machen. Es scheint in deutschen Amtsstuben viele solcher gut besoldeter Stau-Bildner zu geben. Und die Leistungen dieser ehrenwerten Amtsmänner können sich sehen lassen. Im Jahre 2020 gab es immerhin 513.500 Staus in Deutschland, mit einer Stau-Länge von stolzen 659.000 Kilometern. Wir verbrachten als Kollektiv 256.000 Stunden, also 29 Jahre in deutschen Staus! <1> Was hätten wir in dieser Zeit alles machen können. Vielleicht haben wir auch noch das Glück, an einer Performance der Klimakleber als Opfer teilnehmen zu dürfen,