Ein Kommentar von Hermann Ploppa.
Kissinger hat die zweite Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts geprägt – er half den USA mehrmals aus der Sackgasse. Dabei ging er über Leichen.
„Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft.“ Henry Kissinger <1>
Die alten Römer sagten: „De Mortuis nihil nisi bene.“ Heißt auf Deutsch: über die Toten soll man nur Gutes reden. Die können sich nämlich nicht mehr wehren. Keine Argumente mehr vortragen. Das ist richtig. Im Falle von Henry Kissinger allerdings müssen schon einige klare Worte ausgesprochen werden. Selten hat nämlich ein einzelnes Individuum seine Umwelt so nachhaltig nach seinem Bild gestaltet wie eben dieser Henry Kissinger.
Er wurde als jüdischer Mitbürger Heinz Alfred Kissinger im Jahre 1938 aus Deutschland verjagt. Die Familie Kissinger musste in London und dann in New York ein von Null auf hundert ein neues Leben beginnen. Heinz mutierte jetzt zum Amerikaner Henry Kissinger und wurde zur US Army eingezogen. Als amerikanischer Soldat hat er Nazi-Schergen aufgespürt. Wieder in den USA, kam er gleich an die richtige Adresse, um akademisch durchzustarten. An der ersten Privatuniversität Harvard machte er seinen Doktor in Geschichte. Seine Doktorarbeit analysierte die Taktiken des österreichischen Außenministers in den Napoleonischen Kriegen, des Fürsten Klemens Wenzel Lothar von Metternich. Kissinger beschreibt, wie es Metternich gelang, als Vertreter eines relativ schwachen Landes wie Österreich durch geschicktes Lavieren zwischen den anderen Spielern langfristig die eigene Position derart zu stärken, dass Österreich nach der Niederringung Napoleons als Gastgeber des Wiener Kongresses entscheidenden Anteil hatte an der Neuordnung Europas. Die Wiener Ordnung bescherte Europa, neben der Metternichschen Unterdrückung, ein weitgehend kriegsfreies und fortschrittsorientiertes Neunzehntes Jahrhundert. Man kann sagen, dass mit den in jener Doktorarbeit skizzierten Strategien und Taktiken die Blaupause für Kissingers eigene Politik bereits früh formuliert war.
Und immer wieder sind es Zufälle, die eine Begabung in den richtigen Netzwerken richtig wirksam werden lässt. Denn der Öl-Oligarch Nelson Rockefeller wurde auf den jungen Harvard-Historiker aufmerksam und führte ihn in den ungeheuer mächtigen Council on Foreign Relations ein. Dieser in New York ansässige Rat für Auswärtige Beziehungen war und ist immer noch ein Treffpunkt für die Superreichen mit hochkarätigen Intellektuellen, Multiplikatoren und Politikern. Hier soll keiner aus seinem Herzen eine Mördergrube machen und klar sagen was er denkt. Im Rat für Auswärtige Beziehungen werden die Strategien ausgebrütet, die dann in den allermeisten Fällen eins zu eins in offizielle Regierungspolitik übersetzt werden <2>. Und mit dem Rückenwind von Nelson Rockefeller kann es sich der gerade einmal dreißigjährige Kissinger erlauben, dem ungeheuer mächtigen Wall Street-Anwalt und damaligen Außenminister John Foster Dulles in aller Öffentlichkeit die Hosen auszuziehen. John Foster Dulles hatte, ebenfalls über den Hebel des Council on Foreign Relations, die amtliche Militärdoktrin der Massiven Vergeltung verkündet: wenn irgendwo auf diesem Globus die Sowjetunion in das Einflussgebiet der Amerikaner eindringen sollte, würden die USA sofort und ohne weitere Verhandlungen die sowjetische Hauptstadt Moskau mit Atombomben dem Erdboden gleich machen. Eine Militärdoktrin, die alles auf die Karte der Atombomben setzte. Absolut unrealistisch. Fehlte nur jemand, der das mal offen aussprach. Kissinger bekam den Vorsitz in einer Arbeitsgruppe des New Yorker Councils, um eine neue Militärdoktrin auszuarbeiten. Unter Kissingers Leitung wurde die neue Militärdoktrin der Flexiblen Antwort ausgearbeitet: wenn die Sowjets in das Revier de...