
Sign up to save your podcasts
Or


Die Älteren unter euch kennen mich vielleicht noch vom 500 DM-Schein. Darauf ist ein Porträt nach dem Porträt nach dem Gemälde “Bildnis eines bartlosen Mannes” von Hans Maler zu Schwaz zu sehen. Mich ärgert es noch immer, dass mein plissiertes Hemd mit den goldenen Zierstreifen auf dem rotbraunen 500 DM-Schein nicht so gut rüberkommt. Auch erkennt man am Porträt nicht, ob ich schwanger bin, menstruiere oder Hämorrhoiden habe. Meine Yogalehrerin fragt das vor einzelnen Übungen ab und manchmal kann ich dann nicht mitmachen.
Wir sind nicht viele Männer im Yoga. Wir sind auch nicht viele Männer im HIT oder Deep Work. Also, um ganz genau zu sein: Ich bin oft der einzige. Vielleicht ist es, weil Rania und Katrin und Mike viel über Atmung, Marokko und Non-Attachment sprechen, vielleicht ist es auch, weil ich ein geheimes Leben als Frau und Mutter führe. Und ich meine nicht das biologische Geschlecht. Ich halte meine Nase in den Wind. Ich blicke sehenden Auges in den Abgrund und vertrete den Ethos eines Artisten. Ich scheitere im HIT, am Bergsteiger, ich scheitere an der Sauna, am Kältebecken. Ich scheitere als Vater, ich scheitere als Mutter, als Bruder, Sohn, Selbstständiger. Ich scheitere als Meter Mütze.
Warum machst du keine Musik mehr, Meter Mütze?
Ich liebe Meter Mütze
Wenn heute noch ein paar Emojis hochkommen, sagt Rania, wundert euch nicht, aber trinkt viel. Die Kinderärztin fragt: Brauchen Sie noch Rezepte, Vitamin D-Tropfen, irgendetwas? Ich verneine. Sie fragt nach: Hat die Mama nichts aufgetragen?!
Ich bin die Mama, ist ihnen das nicht aufgefallen?
Aber, wie ihr wisst, Postgender birgt, aller Faszination zum Trotz, auch die Gefahr einer Verstetigung von Herrschaftsstrukturen über die manipulative Verwischung nach wie vor bestehender Differenzen. Manche Männer sind bis heute nur den halben Weg gegangen. Ihr wisst sicher, wen ich meine. Ich selbst kann von einem Sportfreund mit dem Spitznamen Pony berichten. Ich möchte dies nicht zu weit ausführen, weil ja auch Kinder hier manchmal mitlesen, aber es war nicht die Frisur, auf die sich der Spitzname bezog, Pony trug eine Glatze.
Eine Restidentität, die mir bleibt, und manche von euch wissen das auch bereits: Mein Urgroßvater war Italiener. Seine Gnocchis waren so zart, dass man sie durch einen Strohhalm saugen konnte. I suoi gnocchi erano così teneri che si potevano succhiare con una cannuccia.
Aber wie und warum hat es ihn nach Hamburg verschlagen? Musicals? Hafenrundfahrt? Backstein? In Italien, dem kleinen Ort meines Urgroßvaters, domestizierten sich damals das Pferd und der Mann noch gegenseitig. Ein zähes pädagogisches Ringen darum, wer hier von wem die Mozzarella macht. Mein Urgroßvater setzte sich dann schließlich durch. Vielleicht mit einer Farbenlehre oder einer Sonate oder auch Sprezzatura, dem scheinbar mühelosen Tragen eleganter Kleidung mit ein wenig Nonchalance.
Mein Urgroßvater Benedetto wollte zum Hafen. Er wollte Wale fangen, so wie er es bei Herman Melville gelesen hatte. Die Familienlegende erzählt: Es war ein Montag im Frühling, als er seine Locken mit Zitronensaft glättete und sich auf den Weg machte.
Nördlich der Alpen kam Benedetto in ein seltsames Dorf. Dort lebten zwischen sieben und dreizehn Männern. Manchmal verließ einer das Dorf und drei kehrten zurück. Oder zwei gingen und niemand kam wieder. Die Männer hießen entweder Thomas oder Christian. Jeder hatte eine eigene, schlichte Unterkunft. Aus groben Steinen gebaut, in einem Kreis angeordnet, wie von einer übermenschlichen nordischen Sagengestalt. In der Mitte: ein großer Apfelbaum. Rund um dessen Stamm lagen Holzschnitzereien und Tierknochen. Ein Thomas verließ gelegentlich seine Unterkunft, stolzierte zum Nachbarn, blähte sich auf, kämpfte oder stellte sich in dessen Jurte, um zu gucken. Christian flüchtete, vielleicht zu einem anderen Thomas, oder er umkreiste einen anderen Christian, diesen dabei imitierend.
Benedetto bezog eine der freien Steinjurten und ehe er sich für die Nacht schlafen gelegt hatte, stand Christian in der Tür, kampfbereit. Benedetto flüchtete in eine der anderen freien Jurten, wo Christian um ihn herumschlich und beobachtete.
Es war diese Zeit in den Steinjurten, so erzählte Benedetto später, als sich seine Haare immer mehr zu Locken eindrehten, bis er das Dorf verlassen musste, weil er der einzige mit Locken war und damit kein Christian oder Thomas mehr sein konnte. Untenrum war es noch viel schlimmer, besonders auf den großen Zehen. Die sahen aus wie kleine frisierte Wollschweine. Zwei kleine Wollschweine, die zur See fuhren, um Krabben zu angeln. Mit ein bisschen Pullover und Schwarzbrot gegen den Wind aus nordwestlicher Richtung.
So kam er nach Hamburg und wurde von mir selbst an einem trüben Spätwintertag auf der Schlittschuhbahn in Planten un Blomen mit meiner Urgroßmutter verwechselt, die mich zum Schlittschuhlaufen mitgenommen hatte. Außer, dass wir dann auf der Bahn die Richtung wechselten, war mir zu dem Zeitpunkt nichts aufgefallen. Ich war ja auch noch ein Kind und vielleicht zwei, drei oder sieben Jahre alt, die Dinge passierten einfach.
Unser zweiter Ausflug führte uns zu einem Freund meines Urgroßvaters nach Winterhude. Zu Christian, einem Keramiker im Ruhestand, der auf dem Sperrmüll eine Töpferscheibe entdeckte hatte und sein altes Handwerk damit wieder aufleben lassen wollte. Wir würden also töpfern, jedoch mit unsichtbarem Ton. Den hatte sich Christian von einem ehemaligen Kollegen besorgt. Der große Vorteil von unsichtbarem Ton, erklärte Christian: Den konnte man essen.Das Töpfern war nicht einfach. Immer wieder rutschte mir der Ton von der Scheibe oder der Versuch eine Schale zu formen endete als Bio-Franzbrötchen. Schlaff, unförmig, langweilig. Nach meinem Versuch war Christian selbst an der Reihe. Und wie in Zeitlupe sahen wir, wie seine Hände mit jeder Umdrehung der Töpferscheibe die eigenen Superkräfte wiederentdeckten. Als würden seine Hände sich an eine Melodie erinnern, die sie lange nicht gespielt hatten. Sein erstes Objekt war ein quadratischer Becher zum Trinken von Sake. Sein zweites Objekt ein zwanzigseitiger Würfel, den er sich anschließend mit der Zwanzig voran lachend in den Mund steckte. Am Besten schmeckte mir die neun.
Then take me disappearin’ through the smoke rings of my mindDown the foggy ruins of time, far past the frozen leavesThe haunted, frightened trees, out to the windy beachFar from the twisted reach of crazy sorrowYes, to dance beneath the diamond sky with one hand waving freeSilhouetted by the sea, circled by the circus sandsWith all memory and fate driven deep beneath the wavesLet me forget about today until tomorrow
Mr Tambourine Man, Bob Dylan
Bis bald,
Meter
By Meter MützeDie Älteren unter euch kennen mich vielleicht noch vom 500 DM-Schein. Darauf ist ein Porträt nach dem Porträt nach dem Gemälde “Bildnis eines bartlosen Mannes” von Hans Maler zu Schwaz zu sehen. Mich ärgert es noch immer, dass mein plissiertes Hemd mit den goldenen Zierstreifen auf dem rotbraunen 500 DM-Schein nicht so gut rüberkommt. Auch erkennt man am Porträt nicht, ob ich schwanger bin, menstruiere oder Hämorrhoiden habe. Meine Yogalehrerin fragt das vor einzelnen Übungen ab und manchmal kann ich dann nicht mitmachen.
Wir sind nicht viele Männer im Yoga. Wir sind auch nicht viele Männer im HIT oder Deep Work. Also, um ganz genau zu sein: Ich bin oft der einzige. Vielleicht ist es, weil Rania und Katrin und Mike viel über Atmung, Marokko und Non-Attachment sprechen, vielleicht ist es auch, weil ich ein geheimes Leben als Frau und Mutter führe. Und ich meine nicht das biologische Geschlecht. Ich halte meine Nase in den Wind. Ich blicke sehenden Auges in den Abgrund und vertrete den Ethos eines Artisten. Ich scheitere im HIT, am Bergsteiger, ich scheitere an der Sauna, am Kältebecken. Ich scheitere als Vater, ich scheitere als Mutter, als Bruder, Sohn, Selbstständiger. Ich scheitere als Meter Mütze.
Warum machst du keine Musik mehr, Meter Mütze?
Ich liebe Meter Mütze
Wenn heute noch ein paar Emojis hochkommen, sagt Rania, wundert euch nicht, aber trinkt viel. Die Kinderärztin fragt: Brauchen Sie noch Rezepte, Vitamin D-Tropfen, irgendetwas? Ich verneine. Sie fragt nach: Hat die Mama nichts aufgetragen?!
Ich bin die Mama, ist ihnen das nicht aufgefallen?
Aber, wie ihr wisst, Postgender birgt, aller Faszination zum Trotz, auch die Gefahr einer Verstetigung von Herrschaftsstrukturen über die manipulative Verwischung nach wie vor bestehender Differenzen. Manche Männer sind bis heute nur den halben Weg gegangen. Ihr wisst sicher, wen ich meine. Ich selbst kann von einem Sportfreund mit dem Spitznamen Pony berichten. Ich möchte dies nicht zu weit ausführen, weil ja auch Kinder hier manchmal mitlesen, aber es war nicht die Frisur, auf die sich der Spitzname bezog, Pony trug eine Glatze.
Eine Restidentität, die mir bleibt, und manche von euch wissen das auch bereits: Mein Urgroßvater war Italiener. Seine Gnocchis waren so zart, dass man sie durch einen Strohhalm saugen konnte. I suoi gnocchi erano così teneri che si potevano succhiare con una cannuccia.
Aber wie und warum hat es ihn nach Hamburg verschlagen? Musicals? Hafenrundfahrt? Backstein? In Italien, dem kleinen Ort meines Urgroßvaters, domestizierten sich damals das Pferd und der Mann noch gegenseitig. Ein zähes pädagogisches Ringen darum, wer hier von wem die Mozzarella macht. Mein Urgroßvater setzte sich dann schließlich durch. Vielleicht mit einer Farbenlehre oder einer Sonate oder auch Sprezzatura, dem scheinbar mühelosen Tragen eleganter Kleidung mit ein wenig Nonchalance.
Mein Urgroßvater Benedetto wollte zum Hafen. Er wollte Wale fangen, so wie er es bei Herman Melville gelesen hatte. Die Familienlegende erzählt: Es war ein Montag im Frühling, als er seine Locken mit Zitronensaft glättete und sich auf den Weg machte.
Nördlich der Alpen kam Benedetto in ein seltsames Dorf. Dort lebten zwischen sieben und dreizehn Männern. Manchmal verließ einer das Dorf und drei kehrten zurück. Oder zwei gingen und niemand kam wieder. Die Männer hießen entweder Thomas oder Christian. Jeder hatte eine eigene, schlichte Unterkunft. Aus groben Steinen gebaut, in einem Kreis angeordnet, wie von einer übermenschlichen nordischen Sagengestalt. In der Mitte: ein großer Apfelbaum. Rund um dessen Stamm lagen Holzschnitzereien und Tierknochen. Ein Thomas verließ gelegentlich seine Unterkunft, stolzierte zum Nachbarn, blähte sich auf, kämpfte oder stellte sich in dessen Jurte, um zu gucken. Christian flüchtete, vielleicht zu einem anderen Thomas, oder er umkreiste einen anderen Christian, diesen dabei imitierend.
Benedetto bezog eine der freien Steinjurten und ehe er sich für die Nacht schlafen gelegt hatte, stand Christian in der Tür, kampfbereit. Benedetto flüchtete in eine der anderen freien Jurten, wo Christian um ihn herumschlich und beobachtete.
Es war diese Zeit in den Steinjurten, so erzählte Benedetto später, als sich seine Haare immer mehr zu Locken eindrehten, bis er das Dorf verlassen musste, weil er der einzige mit Locken war und damit kein Christian oder Thomas mehr sein konnte. Untenrum war es noch viel schlimmer, besonders auf den großen Zehen. Die sahen aus wie kleine frisierte Wollschweine. Zwei kleine Wollschweine, die zur See fuhren, um Krabben zu angeln. Mit ein bisschen Pullover und Schwarzbrot gegen den Wind aus nordwestlicher Richtung.
So kam er nach Hamburg und wurde von mir selbst an einem trüben Spätwintertag auf der Schlittschuhbahn in Planten un Blomen mit meiner Urgroßmutter verwechselt, die mich zum Schlittschuhlaufen mitgenommen hatte. Außer, dass wir dann auf der Bahn die Richtung wechselten, war mir zu dem Zeitpunkt nichts aufgefallen. Ich war ja auch noch ein Kind und vielleicht zwei, drei oder sieben Jahre alt, die Dinge passierten einfach.
Unser zweiter Ausflug führte uns zu einem Freund meines Urgroßvaters nach Winterhude. Zu Christian, einem Keramiker im Ruhestand, der auf dem Sperrmüll eine Töpferscheibe entdeckte hatte und sein altes Handwerk damit wieder aufleben lassen wollte. Wir würden also töpfern, jedoch mit unsichtbarem Ton. Den hatte sich Christian von einem ehemaligen Kollegen besorgt. Der große Vorteil von unsichtbarem Ton, erklärte Christian: Den konnte man essen.Das Töpfern war nicht einfach. Immer wieder rutschte mir der Ton von der Scheibe oder der Versuch eine Schale zu formen endete als Bio-Franzbrötchen. Schlaff, unförmig, langweilig. Nach meinem Versuch war Christian selbst an der Reihe. Und wie in Zeitlupe sahen wir, wie seine Hände mit jeder Umdrehung der Töpferscheibe die eigenen Superkräfte wiederentdeckten. Als würden seine Hände sich an eine Melodie erinnern, die sie lange nicht gespielt hatten. Sein erstes Objekt war ein quadratischer Becher zum Trinken von Sake. Sein zweites Objekt ein zwanzigseitiger Würfel, den er sich anschließend mit der Zwanzig voran lachend in den Mund steckte. Am Besten schmeckte mir die neun.
Then take me disappearin’ through the smoke rings of my mindDown the foggy ruins of time, far past the frozen leavesThe haunted, frightened trees, out to the windy beachFar from the twisted reach of crazy sorrowYes, to dance beneath the diamond sky with one hand waving freeSilhouetted by the sea, circled by the circus sandsWith all memory and fate driven deep beneath the wavesLet me forget about today until tomorrow
Mr Tambourine Man, Bob Dylan
Bis bald,
Meter