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Kalter Krieg in den USA


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Liebe Leserinnen und Leser,

eigentlich müsste ich den Titel dieses Newsletters gleich wieder revidieren. Der echte Kalte Krieg, also der zwischen den USA und der Sowjetunion, führte am Ende nicht zu einem Krieg. Das, was ich als kalten Krieg bezeichne, also das, was wir gerade in unseren Gesellschaften in den USA und in Europa erleben, könnte allerdings zu einem Krieg mit Waffen führen.

Lassen Sie mich gleich zum Punkt kommen.

Am Mittwoch ist in den USA ein rechts-konservativer Aktivist auf offener Bühne erschossen worden. Charlie Kirk war bekannt für seine provokanten Thesen, er war allerdings auch bekannt dafür, dass er das Gespräch, die Diskussion und die Auseinandersetzung mit Menschen gesucht hat. Ob er wirklich ein „Held der Meinungsfreiheit“ war, darüber kann jeder für sich zu einem Urteil kommen.

Ich will in diesem Newsletter einen Schritt weitergehen und weniger die emotionale Schiene bedienen, sondern versuchen zu analysieren, was nun in den USA passieren kann.

Dieser Artikel enthält deswegen die Bezeichnung „Kalter Krieg“, weil wir uns bereits am Ende (und nicht am Anfang) einer verbalen und auch physischen Aufrüstung verschiedenster Lager befinden. Man könnte es auch so formulieren: Der kalte Krieg in den USA liegt eigentlich schon hinter uns. Was wir jetzt sehen ist bereits der Griff zur Waffe. Wir sehen, wie aus Worten Taten folgen. Wir sehen, wie die enthemmte Wut und der Hass aus dem Internet in unser physisches Leben schwappt. In Deutschland und in Europa drohen ähnliche Entwicklungen.

Ich will Ihnen deswegen einige der Reaktionen zeigen, die ich in den sozialen Medien gesehen habe, um zu verdeutlichen, dass die Radikalisierung von allen Seiten rapide voranschreitet. Rechtsradikale und Linksradikale werden weiter aufrüsten. Ein Bürgerkrieg ist deswegen nicht mehr ausgeschlossen, weil das Land sich in Richtung eines „fragile states“ entwickelt. Was genau das bedeutet und warum das nicht nur meine subjektive Meinung ist, das will ich später im Text erklären.

Musk: „kämpfen oder sterben“

Ein X-Account hatte einige der ersten Reaktionen aus der eher rechten (bis rechtsradikalen) Bubble nach dem Anschlag auf Charlie Kirk gesammelt.

Die meisten dieser Accounts haben eine große Reichweite. Allein die Personen, die ich hier unten zitiere, haben zusammen knapp 235 Millionen Follower. Einige der Aussagen waren:

* Libs of TikTok: „DAS IST KRIEG“

* Elon Musk: „Wenn sie uns nicht in Frieden lassen, dann ist unsere Wahl kämpfen oder sterben“

* Gunther Eagleman: „Sie haben den Krieg erklärt.“

* Joey Mannarino: „Die Demokratische Partei muss als inländische Terrororganisation eingestuft und deren Mitglieder entsprechend behandelt werden.“

* Brian Eastwood: „Ich bin bereit für den Bürgerkrieg.“

Die allermeisten dieser Accounts rufen ganz offen zum Bürgerkrieg auf. Dabei wissen sie zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht, wer das Attentat ausgeübt hat.

Von der „anderen“ Seite, der eher linken Bubble, hört man ebenfalls besorgniserregende Töne. Hier wird der Tod von Charlie Kirk teilweise gefeiert. Kirk, ein ausgesprochener Befürworter des Second Amendment (Recht auf Besitz und Tragen von Waffen), wird mit seinen eigenen Zitaten konfrontiert. Es ist Häme und Zynismus zu beobachten.

Eher in der Minderheit sind wiederum die, die versuchen zu de-eskalieren. So schrieb z.B. der ehemalige US-Präsident Joe Biden: „Für diese Art von Gewalt ist in unserem Land kein Platz. Sie muss jetzt ein Ende haben. Jill und ich beten für Charlie Kirks Familie und seine Angehörigen.“

Der Atlantic analysiert die aktuelle Situation u.a. so:

Einige rechte Aktivisten fordern die Trump-Regierung auf, gegen linke Organisationen vorzugehen – mit anderen Worten, Kirks Tod als Vorwand für politische Repressionen zu nutzen, was genau das ist, was eine autoritäre Regierung tun würde.

Niemand sollte angesichts des Mordes an Charlie Kirk etwas anderes empfinden als Entsetzen und Schrecken. Und niemand sollte den Mord an einem Mann, der für sein Eintreten für die Meinungsfreiheit bekannt war, dazu nutzen, andere oder sich selbst davon abzuhalten, die Wahrheit über die gefährliche Lage, in der wir uns befinden, auszusprechen.

Was sind Group Grievances?

Ich beschreibe diese Dynamik nicht aus sensationalistischer Sicht. Ich beschreibe die Lage, weil ich tatsächlich Parallelen sehen kann zwischen den USA und der Dynamik in Ländern, die einen Bürgerkrieg erlebt haben.

Ich will das aber ganz präzise erklären und natürlich auch verdeutlichen, dass es große Unterschiede gibt zwischen den USA und Ländern, die sich tatsächlich in einem Bürgerkrieg befinden oder einen hinter sich haben (wie z.B. Syrien). Die Parallelen, die es gibt, sind allerdings interessant.

Der entscheidende Begriff in diesem Kontext sind die sogenannten „Group Grievances“, die das deutsche Wörterbuch als „Gruppenbeschwerden“ übersetzt. Das ist allerdings keine gute Übersetzung.

Sucht man bei Google nach dem Begriff, dann landet man schnell beim sogenannten Fragile States Index, den ich in diesem Newsletter in der Vergangenheit schonmal thematisiert habe. Der Index listet (fast) alle Länder dieser Welt nach „Fragilität“ - also letztlich Stabilität - auf. Im Jahr 2024 war z.B. Somalia auf Platz 1 (am fragilsten) und Norwegen auf Platz 179 (am wenigsten fragil).

Für dieses Ranking gibt es wiederum ganz verschiedene Kriterien. Eines davon sind die Group Grievances, die so erklärt werden:

Der Indikator konzentriert sich auf Spaltungen und Brüche zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft – insbesondere Spaltungen aufgrund sozialer oder politischer Merkmale – und deren Rolle beim Zugang zu Dienstleistungen oder Ressourcen sowie bei der Einbeziehung in den politischen Prozess.

Gruppenkonflikte können auch eine historische Komponente haben, wenn benachteiligte Gemeinschaften auf Ungerechtigkeiten der Vergangenheit verweisen, die manchmal Jahrhunderte zurückliegen und die Rolle dieser Gruppe in der Gesellschaft sowie ihre Beziehungen zu anderen Gruppen beeinflussen und prägen. Diese Geschichte kann wiederum durch Muster tatsächlicher oder wahrgenommener Gräueltaten oder Verbrechen geprägt sein, die offenbar straffrei gegen Gemeinschaftsgruppen begangen wurden.

Gruppen können sich auch benachteiligt fühlen, weil ihnen die Autonomie, Selbstbestimmung oder politische Unabhängigkeit verweigert wird, auf die sie ihrer Meinung nach Anspruch haben.

Liest man diese Bezeichnung, dann könnte man vieles davon tatsächlich auf die USA anwenden. Hinzu kommt, dass die USA ein enorm großes Problem mit Waffengewalt haben.

Wie ich hier schonmal geschrieben habe - und ich zitiere aus einem Artikel vom 27. Mai 2025:

Vor 18 Jahren, also im Jahr 2007 (kurz vor der Finanzkrise), lagen die USA auf Platz 159 auf dem Index und waren umgeben von Ländern wie Italien oder Frankreich. Die USA galten - zu diesem Zeitpunkt - als weniger fragil als Deutschland, das wiederum höher auf der Liste (also fragiler) angesiedelt war (auf Platz 153).

Im Jahr 2024 lagen die USA wiederum auf Platz 141. Ein Unterschied von genau 18 Plätzen. Im Schnitt büßten die USA somit seit 2007 jedes Jahr einen Platz ein und bewegten sich in Richtung zunehmender Fragilität. Im Jahr 2024 galten Argentinien, Chile und Qatar als weniger fragil, als die Vereinigten Staaten von Amerika.

(…)

Ein Indiz [warum das so ist] findet sich im Fragile States Index von 2023. Hier wird erklärt, dass sich die Cohesion Indicators (Indikatoren für gesellschaftlichen Zusammenhalt) in den meisten demokratischen Ländern zwischen 2007 und 2020 stark verschlechtert haben.

Innerhalb dieser Gruppe demokratischer Nationen haben die USA mit Abstand die schlechtesten Werte. Das Interessante an der Sache: Die Zahlen lassen sich nur zum Teil auf politische Faktoren zurückführen. Was die USA zunehmend zu einem fragilen Staat werden lässt sind Massenschießereien und Amokläufe (z.B. in Schulen).

Wir haben in den USA also eine Mischung aus zwei ganz konkreten Dingen: Den Group Grievances und den Schießereien. Uns bestätigen Forschung und Experten (die sich eigentlich eher mit Ländern wie dem Sudan oder Syrien beschäftigen), dass sich die USA in eine gefährliche Richtung bewegen und sich das sogar anhand von Zahlen und Daten belegen lässt.

Das muss keineswegs bedeuten, dass in den USA ein Bürgerkrieg bevorsteht und man sollte diesen auch nicht herbeireden, allerdings sollte man die Realität auch nicht ignorieren.

Das Pendel der Gewalt

Group Grievances können dann noch weiter verstärkt werden, wenn die Gruppe, die gerade an der Macht ist, z.B. mit einer gewissen Brutalität gegen ehemalige und aktuelle Widersacher vorgeht.

Auch hier gibt es Parallelen zu Ländern wie Syrien. So hat sich z.B. Donald Trump dazu entschieden, gegen seine Kritiker vorzugehen. Man könnte das teilweise sogar als Rachefeldzug bezeichnen. Trump nutzt die Macht seines Amtes, um sich zu rächen.

Das kann wiederum dazu führen, dass die Demokraten - sollten sie irgendwann wieder an der Macht sein - ähnlich vorgehen werden.

Mit anderen Worten: Hier entsteht ein teuflischer Kreis und ein Pendel, das wie wild immer von der einen Seite zur anderen schwingt, je nachdem, wer gerade an der Macht ist. Bestraft wird immer die Seite, die unterlegen ist. Die wiederum wehrt sich - z.B. mit Gewalt.

Ein Ende dieser Spirale kann nur dann gelingen, wenn eine Seite (am besten die Seite, die gerade an der Macht ist) sich versöhnlich zeigt. In den USA ist allerdings gerade genau das Gegenteil der Fall.

Philipp Sandmann



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