
Sign up to save your podcasts
Or


Liebe Leserinnen und Leser,
jeder hat gerade eine Meinung zum Thema Meinungsfreiheit. Allerdings entsteht zugleich der Eindruck, dass es ja gar keine Freiheit der Meinung mehr gibt. Wie passt das zusammen?
Es passt nicht zusammen. Es ist sogar ein bisschen albern.
Denn Deutschlands Medien und Kommentatoren sprechen und diskutieren über Meinungsfreiheit, dabei meinen sie etwas anderes. Das ist schlampig. Und gefährlich.
Da ist z.B. Richard David Precht, ein gern gesehener Gast in Talkshows und generell ein Mann, der viel meint. Sein aktuelles Buch heißt: Angststillstand - Warum die Meinungsfreiheit schwindet. In der Sendung Maischberger erklärte Precht, der von seinem Verlag als „Nr 1.-Podcaster“ angepriesen wird, jüngst:
„Die Meinungsfreiheit ist eigentlich das, was das Gesetz regelt und da hat sich eben gar nicht so viel verändert, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Aber die Meinungstoleranz ist geringer geworden.“
Ich stimme Precht in diesem Punkt zu. Also: Meinungsfreiheit ist das Gesetz, Meinungstoleranz ist die subjektive Wahrnehmung bzw. das, was wir als Bürgerinnen und Bürger unter uns regeln. Der Meinungs-Markt sozusagen.
Auch in der Beschreibung seines Buchs steht: „Beschleunigt durch Social Media und die Möglichkeiten des Shitstorms wird das Risiko freier Meinungsäußerungen immer größer und die sozialen Kosten steigen gefährlich an.“
Auch hier würde ich Precht - zumindest teilweise - zustimmen. Trotzdem bleibt ein Störfaktor: Der Untertitel von Prechts Buch suggeriert, dass die Meinungsfreiheit schwindet und nicht etwa die Meinungstoleranz. Natürlich ist mir klar, dass Precht argumentiert, dass aufgrund der gesunkenen Meinungstoleranz auch die Meinungsfreiheit leidet. Das ist aber falsch. Ich will es erklären.
Zunächst einmal stelle ich fest, dass auch die Medien auf den vermeintlichen Verlust der Meinungsfreiheit reagieren. Sie machen das so, wie Medien das halt so machen. Auf ziemlich offensichtliche Art und Weise. Ich will das gar nicht kritisieren, es ist nur nicht sonderlich kreativ.
Bei ntv gibt es zum Beispiel nun eine Sendung mit den geschätzten Kollegen Nikolaus Blome und Clara Pfeffer. „Klar, kantig, kontrovers - mit Biss und Respekt“ ist das Motto des Formats, in dem jeder Gast und auch die Moderatoren eine kontroverse Meinung mitbringen sollen. Darüber wird dann diskutiert. Man will zeigen: Hier wird Meinungsfreiheit gelebt und gesendet.
Fast zeitgleich kündigte der Sender Welt an, dass er ab November mit dem Format Meinungsfreiheit mit Nena Brockhaus an den Start gehe. Laut Aussage der Moderatorin, wolle sich diese „streiten“. Außerdem wolle sie, dass nicht nur ihre eigene Meinung gesendet werde, sondern auch die „andere“ Meinung. Auch gut.
Aber das Problem ist auch hier: All diese neuen Formate und auch die Diskussionen in den Talkshows senden am Kern der Debatte vorbei. Sie suggerieren nämlich alle, dass wir dringend etwas gegen die schwindende Meinungsfreiheit in Deutschland tun müssten und uns deswegen jetzt bitte schnell streiten sollen, um zu beweisen, dass das so noch in Deutschland geht.
Das ist deswegen albern, weil hier Meinungstoleranz mit Meinungsfreiheit verwechselt (oder ganz bewusst gleichgesetzt) wird. Denn wenn wir uns gegenseitig einschränken, weil wir, wie Precht es formuliert, den „sozialen Preis“ für die Meinungsäußerung erhöht haben, dann sind wir ja auch selbst schuld. Mit anderen Worten: Dafür trägt die Politik oder der Gesetzgeber keine Verantwortung.
Lassen Sie uns lieber nochmal definieren, was Meinungsfreiheit wirklich ist. Ich habe, wie Sie sicherlich merken, in meinen Newslettern oft den US-Historiker Timothy Snyder zitiert und werde es auch an dieser Stelle tun. Er macht einen wichtigen Punkt und unterscheidet im Englischen klugerweise zwischen „free speech“ und „freedom of speech“:
„Der Begriff ‚freie Meinungsäußerung‘ (‚free speech‘) hat eine sehr überhöhte Bedeutung erhalten und wird allzu oft nur noch verwendet, um das Recht zu bezeichnen, jemanden zu beleidigen oder durch bewusste Lügen Unruhe zu stiften, oft aus einer Position der Macht und des Reichtums heraus.
Der Grund, warum uns die Meinungsfreiheit (‚freedom of speech‘) am Herzen liegt, ist jedoch, dass wir die Würde des Einzelnen schützen und den Einzelnen vor den Mächtigen schützen wollen.
Die Meinungsfreiheit wird geschützt, damit wir den Mächtigen unsere Wahrheit sagen können, und nicht, damit die Mächtigen uns ihre Lügen aufzwingen können. Mit anderen Worten: Sie muss ein Recht sein, weil die Wahrheit riskant ist.
Als Selenskyj in Kiew blieb, veröffentlichte er ein Selfie-Video mit Kollegen, in dem er den Menschen versicherte, dass ‚der Präsident hier ist‘. Dies war ein Ausdruck der Meinungsfreiheit im tieferen, richtigen Sinne. Er ging ein Risiko ein: Die Attentäter suchten nach ihm, russische Truppen waren in der Nähe von Kiew und die Stadt wurde bombardiert. Und er sagte die Wahrheit. Das Risiko war die Wahrheit, und die Wahrheit war das Risiko.“
Snyder macht deutlich, dass Meinungsfreiheit, also freedom of speech, das wirkliche Elixir der Demokratie ist. Meinungsfreiheit ist nämlich nicht, dass man eine Meinung rausposaunt (die womöglich sogar beleidigend oder erniedrigend ist) und sich dann wundert, wenn es Gegenwind gibt. Das ist die Meinungstoleranz.
Meinungsfreiheit ist das hier: In Deutschland können Sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche die Regierung, den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten kritisieren (natürlich in einem durchaus sinnvollen rechtlichen Rahmen), sich über diese Personen lustig machen, sie lächerlich machen etc. Sie müssen jedoch keine Konsequenzen fürchten.
Dürfen Sie das in China? Dürfen Sie das in Russland? Dürfen Sie das in Saudi Arabien? Und mittlerweile muss man sich fragen: Dürfen Sie das eigentlich noch in den USA? Die Antwort für die ersten drei Länder ist ein deutliches Nein. Die Antwort mit Blick auf die USA ist zumindest kein ganz klares Ja mehr.
Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan hat das Thema Meinungsfreiheit mal in einem seiner legendären Witze so auf den Punkt gebracht:
An American and a Russian were arguing about their two countries. The American said: “Look, in my country I can walk into the Oval Office, I can pound the president’s desk and say Mr. President, I don’t like the way you’re running our country.” And the Russian said: “I can do that.” The American said: “you can?” He says: “yes, I can go into the Kremlin, to the General Secretary’s office, pound his desk and say: Mr. General Secretary, I don’t like the way President Reagan is running his country!”
Auf Deutsch:
Ein Amerikaner und ein Russe diskutieren über ihre beiden Länder. Der Amerikaner sagte: „Schau mal, in meinem Land kann ich ins Oval Office gehen, auf den Schreibtisch des Präsidenten schlagen und sagen: Herr Präsident, mir gefällt nicht, wie Sie unser Land regieren.“ Und der Russe sagte: „Das kann ich auch.“ Der Amerikaner sagte: „Das kannst du?“ Er sagte: „Ja, ich kann in den Kreml gehen, ins Büro des Generalsekretärs, auf seinen Schreibtisch hauen und sagen: Herr Generalsekretär, mir gefällt nicht, wie Präsident Reagan sein Land regiert!“
Wir halten also fest: Meinungsfreiheit ist u.a. das, was es möglich macht, die Mächtigen, den Staat, die Regierenden zu kritisieren und sie so unter Druck zu setzen, dass sie ihr Amt verlieren oder zurücktreten müssen. Dabei müssen wir keine Repressalien fürchten. DAS ist in der Tat ein entscheidender Bestandteil unseres gesellschaftlichen Vertrags. Wenn der ins Wanken gerät, dann sollten wir uns Sorgen machen.
Die freie Meinungsäußerung hingegen, wie Snyder sie bezeichnet, ist etwas anderes. Wir sollten diese Dinge strikt voneinander trennen.
Warum?
Weil wir uns selbst schaden, wenn wir suggerieren, dass die gesetzlich geregelte Meinungsfreiheit in Gefahr sei. Das stärkt nämlich genau die, die ein Interesse daran haben, unsere Demokratie auseinanderzunehmen und ein Bild zu zeichnen, das so aussieht: Die Mächtigen da oben unterdrücken die Kleinen da unten und lassen sie gar ins Gefängnis werfen, wenn ihnen eine Meinung oder Kritik an der Regierung nicht passt.
Das ist in Deutschland mitnichten so.
Und wenn eine Gesellschaft den sozialen Preis für die Meinungsäußerung erhöht, dann ist das womöglich kein sonderlich guter Trend, es ist aber am Ende des Tages eine Entscheidung der Menschen innerhalb einer Gesellschaft.
Mit anderen Worten: Nein, die Meinungsfreiheit in Deutschland ist nicht in Gefahr.
Wenn überhaupt haben wir es verlernt, andere Meinungen auszuhalten. Das ist aber nicht das Problem der Politik, sondern unser Problem. Wir sollten damit aufhören, diese beiden Dinge zu verwechseln. Denn wenn wir das weiterhin tun, dann stärken wir die, die eine ganz eigene Vorstellung von Meinungstoleranz haben und am Ende die wirkliche Meinungsfreiheit per Gesetz einschränken wollen.
Die USA sollten uns in diesem Punkt eine Warnung sein.
Philipp Sandmann
By Philipp SandmannLiebe Leserinnen und Leser,
jeder hat gerade eine Meinung zum Thema Meinungsfreiheit. Allerdings entsteht zugleich der Eindruck, dass es ja gar keine Freiheit der Meinung mehr gibt. Wie passt das zusammen?
Es passt nicht zusammen. Es ist sogar ein bisschen albern.
Denn Deutschlands Medien und Kommentatoren sprechen und diskutieren über Meinungsfreiheit, dabei meinen sie etwas anderes. Das ist schlampig. Und gefährlich.
Da ist z.B. Richard David Precht, ein gern gesehener Gast in Talkshows und generell ein Mann, der viel meint. Sein aktuelles Buch heißt: Angststillstand - Warum die Meinungsfreiheit schwindet. In der Sendung Maischberger erklärte Precht, der von seinem Verlag als „Nr 1.-Podcaster“ angepriesen wird, jüngst:
„Die Meinungsfreiheit ist eigentlich das, was das Gesetz regelt und da hat sich eben gar nicht so viel verändert, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Aber die Meinungstoleranz ist geringer geworden.“
Ich stimme Precht in diesem Punkt zu. Also: Meinungsfreiheit ist das Gesetz, Meinungstoleranz ist die subjektive Wahrnehmung bzw. das, was wir als Bürgerinnen und Bürger unter uns regeln. Der Meinungs-Markt sozusagen.
Auch in der Beschreibung seines Buchs steht: „Beschleunigt durch Social Media und die Möglichkeiten des Shitstorms wird das Risiko freier Meinungsäußerungen immer größer und die sozialen Kosten steigen gefährlich an.“
Auch hier würde ich Precht - zumindest teilweise - zustimmen. Trotzdem bleibt ein Störfaktor: Der Untertitel von Prechts Buch suggeriert, dass die Meinungsfreiheit schwindet und nicht etwa die Meinungstoleranz. Natürlich ist mir klar, dass Precht argumentiert, dass aufgrund der gesunkenen Meinungstoleranz auch die Meinungsfreiheit leidet. Das ist aber falsch. Ich will es erklären.
Zunächst einmal stelle ich fest, dass auch die Medien auf den vermeintlichen Verlust der Meinungsfreiheit reagieren. Sie machen das so, wie Medien das halt so machen. Auf ziemlich offensichtliche Art und Weise. Ich will das gar nicht kritisieren, es ist nur nicht sonderlich kreativ.
Bei ntv gibt es zum Beispiel nun eine Sendung mit den geschätzten Kollegen Nikolaus Blome und Clara Pfeffer. „Klar, kantig, kontrovers - mit Biss und Respekt“ ist das Motto des Formats, in dem jeder Gast und auch die Moderatoren eine kontroverse Meinung mitbringen sollen. Darüber wird dann diskutiert. Man will zeigen: Hier wird Meinungsfreiheit gelebt und gesendet.
Fast zeitgleich kündigte der Sender Welt an, dass er ab November mit dem Format Meinungsfreiheit mit Nena Brockhaus an den Start gehe. Laut Aussage der Moderatorin, wolle sich diese „streiten“. Außerdem wolle sie, dass nicht nur ihre eigene Meinung gesendet werde, sondern auch die „andere“ Meinung. Auch gut.
Aber das Problem ist auch hier: All diese neuen Formate und auch die Diskussionen in den Talkshows senden am Kern der Debatte vorbei. Sie suggerieren nämlich alle, dass wir dringend etwas gegen die schwindende Meinungsfreiheit in Deutschland tun müssten und uns deswegen jetzt bitte schnell streiten sollen, um zu beweisen, dass das so noch in Deutschland geht.
Das ist deswegen albern, weil hier Meinungstoleranz mit Meinungsfreiheit verwechselt (oder ganz bewusst gleichgesetzt) wird. Denn wenn wir uns gegenseitig einschränken, weil wir, wie Precht es formuliert, den „sozialen Preis“ für die Meinungsäußerung erhöht haben, dann sind wir ja auch selbst schuld. Mit anderen Worten: Dafür trägt die Politik oder der Gesetzgeber keine Verantwortung.
Lassen Sie uns lieber nochmal definieren, was Meinungsfreiheit wirklich ist. Ich habe, wie Sie sicherlich merken, in meinen Newslettern oft den US-Historiker Timothy Snyder zitiert und werde es auch an dieser Stelle tun. Er macht einen wichtigen Punkt und unterscheidet im Englischen klugerweise zwischen „free speech“ und „freedom of speech“:
„Der Begriff ‚freie Meinungsäußerung‘ (‚free speech‘) hat eine sehr überhöhte Bedeutung erhalten und wird allzu oft nur noch verwendet, um das Recht zu bezeichnen, jemanden zu beleidigen oder durch bewusste Lügen Unruhe zu stiften, oft aus einer Position der Macht und des Reichtums heraus.
Der Grund, warum uns die Meinungsfreiheit (‚freedom of speech‘) am Herzen liegt, ist jedoch, dass wir die Würde des Einzelnen schützen und den Einzelnen vor den Mächtigen schützen wollen.
Die Meinungsfreiheit wird geschützt, damit wir den Mächtigen unsere Wahrheit sagen können, und nicht, damit die Mächtigen uns ihre Lügen aufzwingen können. Mit anderen Worten: Sie muss ein Recht sein, weil die Wahrheit riskant ist.
Als Selenskyj in Kiew blieb, veröffentlichte er ein Selfie-Video mit Kollegen, in dem er den Menschen versicherte, dass ‚der Präsident hier ist‘. Dies war ein Ausdruck der Meinungsfreiheit im tieferen, richtigen Sinne. Er ging ein Risiko ein: Die Attentäter suchten nach ihm, russische Truppen waren in der Nähe von Kiew und die Stadt wurde bombardiert. Und er sagte die Wahrheit. Das Risiko war die Wahrheit, und die Wahrheit war das Risiko.“
Snyder macht deutlich, dass Meinungsfreiheit, also freedom of speech, das wirkliche Elixir der Demokratie ist. Meinungsfreiheit ist nämlich nicht, dass man eine Meinung rausposaunt (die womöglich sogar beleidigend oder erniedrigend ist) und sich dann wundert, wenn es Gegenwind gibt. Das ist die Meinungstoleranz.
Meinungsfreiheit ist das hier: In Deutschland können Sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche die Regierung, den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten kritisieren (natürlich in einem durchaus sinnvollen rechtlichen Rahmen), sich über diese Personen lustig machen, sie lächerlich machen etc. Sie müssen jedoch keine Konsequenzen fürchten.
Dürfen Sie das in China? Dürfen Sie das in Russland? Dürfen Sie das in Saudi Arabien? Und mittlerweile muss man sich fragen: Dürfen Sie das eigentlich noch in den USA? Die Antwort für die ersten drei Länder ist ein deutliches Nein. Die Antwort mit Blick auf die USA ist zumindest kein ganz klares Ja mehr.
Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan hat das Thema Meinungsfreiheit mal in einem seiner legendären Witze so auf den Punkt gebracht:
An American and a Russian were arguing about their two countries. The American said: “Look, in my country I can walk into the Oval Office, I can pound the president’s desk and say Mr. President, I don’t like the way you’re running our country.” And the Russian said: “I can do that.” The American said: “you can?” He says: “yes, I can go into the Kremlin, to the General Secretary’s office, pound his desk and say: Mr. General Secretary, I don’t like the way President Reagan is running his country!”
Auf Deutsch:
Ein Amerikaner und ein Russe diskutieren über ihre beiden Länder. Der Amerikaner sagte: „Schau mal, in meinem Land kann ich ins Oval Office gehen, auf den Schreibtisch des Präsidenten schlagen und sagen: Herr Präsident, mir gefällt nicht, wie Sie unser Land regieren.“ Und der Russe sagte: „Das kann ich auch.“ Der Amerikaner sagte: „Das kannst du?“ Er sagte: „Ja, ich kann in den Kreml gehen, ins Büro des Generalsekretärs, auf seinen Schreibtisch hauen und sagen: Herr Generalsekretär, mir gefällt nicht, wie Präsident Reagan sein Land regiert!“
Wir halten also fest: Meinungsfreiheit ist u.a. das, was es möglich macht, die Mächtigen, den Staat, die Regierenden zu kritisieren und sie so unter Druck zu setzen, dass sie ihr Amt verlieren oder zurücktreten müssen. Dabei müssen wir keine Repressalien fürchten. DAS ist in der Tat ein entscheidender Bestandteil unseres gesellschaftlichen Vertrags. Wenn der ins Wanken gerät, dann sollten wir uns Sorgen machen.
Die freie Meinungsäußerung hingegen, wie Snyder sie bezeichnet, ist etwas anderes. Wir sollten diese Dinge strikt voneinander trennen.
Warum?
Weil wir uns selbst schaden, wenn wir suggerieren, dass die gesetzlich geregelte Meinungsfreiheit in Gefahr sei. Das stärkt nämlich genau die, die ein Interesse daran haben, unsere Demokratie auseinanderzunehmen und ein Bild zu zeichnen, das so aussieht: Die Mächtigen da oben unterdrücken die Kleinen da unten und lassen sie gar ins Gefängnis werfen, wenn ihnen eine Meinung oder Kritik an der Regierung nicht passt.
Das ist in Deutschland mitnichten so.
Und wenn eine Gesellschaft den sozialen Preis für die Meinungsäußerung erhöht, dann ist das womöglich kein sonderlich guter Trend, es ist aber am Ende des Tages eine Entscheidung der Menschen innerhalb einer Gesellschaft.
Mit anderen Worten: Nein, die Meinungsfreiheit in Deutschland ist nicht in Gefahr.
Wenn überhaupt haben wir es verlernt, andere Meinungen auszuhalten. Das ist aber nicht das Problem der Politik, sondern unser Problem. Wir sollten damit aufhören, diese beiden Dinge zu verwechseln. Denn wenn wir das weiterhin tun, dann stärken wir die, die eine ganz eigene Vorstellung von Meinungstoleranz haben und am Ende die wirkliche Meinungsfreiheit per Gesetz einschränken wollen.
Die USA sollten uns in diesem Punkt eine Warnung sein.
Philipp Sandmann