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Link: TikTok und Europa
Text:
TikTok war ein globales1 Social Network aus China. Zwei Aussagen aus diesem Satz sind alles entscheidend für die jetzige Situation: „war“, und „China“.
~
Als Indien Anfang des Sommers populäre chinesische Angebote verbannte, verlor TikTok auf einen Schlag 200 Millionen aktive Nutzer. Das entspricht einem Fünftel der weltweiten Nutzerschaft von TikTok.
Indien geht rasant schnell online (nicht zuletzt dank Jios weltweit einzigartigen und einzigartig günstigen 4G-Netz). 2016 waren es noch 343 Millionen, 2020 sind bereits 697 Millionen Menschen in Indien online. Bis 2025 soll die Zahl auf 975 Millionen indische Onlinenutzer anwachsen. Indien ist seit einer Weile der am schnellsten wachsende Onlinemarkt weltweit. Ein UN-Report von 2019 geht davon aus, dass Indien bis 2027 China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen wird.
TikTok wird dieser Markt wohl verwehrt bleiben, solang es aus China kommt. Dafür sorgen die geopolitischen Ambitionen Chinas, die bereits zu Gefechten an der indisch-chinesischen Grenze geführt haben.
Der Verlust des indischen Marktes hat natürlich Auswirkungen auf den heutigen und künftigen Wert des ehemals globalen Netzwerks.
In Europa wird das leicht unterschätzt: Der Verlust des heute großen, morgen riesigen indischen Onlinemarkts hat alles, was jetzt bei TikTok passiert, ins Rollen gebracht. Die USA konnte die indische Situation lediglich ausnutzen.
~
Man kann von Trump halten was man will2: TikToks zentrales Element ist die For-You-Page (FYP) und ihr Algorithmus. Hier findet die Distribution der Videos statt, hier werden die TikTok-Stars geboren oder begraben. Man kann Accounts natürlich auch folgen, klar. Auch TikTok will und braucht verfestigte Verbindungen im Netzwerk. Aber TikTok ist FYP, FYP ist TikTok.
Und TikTok kommt aus China.
Beides zusammen bedeutet, dass die chinesische Regierung hinter den Kulissen subtil oder weniger subtil Memes pushen kann, die der kommunistischen Partei opportun erscheinen. Macht China das heute? Unternehmen in China müssen machen, was die Regierung von ihnen wünscht, das weiß besonders die TikTok-Mutter Bytedance sehr genau. Diese Tatsache plus der Black-Box-Charakter von TikTok lassen, solang TikTok aus China kommt, alles offen. Dabei ist auch egal, wie sehr das Unternehmen beteuert, Daten nicht nach China zu schicken oder oder ein Datenzentrum in Europa aufzubauen. Die internen Datenflüsse, die Metadaten und die Steuerungen des Algorithmus, finden hinter verschlossenen Türen statt. Das ist Fakt. Und für diesen Fakt ist es egal, welche Schilder das Unternehmen nach außen sichtbar auf diesen Türen anbringt.
Deshalb ist das Vorgehen der US-Regierung zumindest allgemein gehalten hier sinnvoll und nachvollziehbar.
Deshalb wäre auch eine vergleichbare Haltung in Europa angemessen. Darf ein chinesisches Social Network Einfluss auf die europäische Öffentlichkeit nehmen, egal wie direkt, indirekt, subtil, weniger subtil, politisch motiviert oder nicht?
Das klingt hypothetisch und ist es auch.
Nicht hypothetisch ist, dass wir nie genau wissen werden, ob eine gewichtende Beeinflussung zum Beispiel stattfindet.
Ist diese Ungewissheit ok für Europa?
~
Ein TikTok, das nicht nur in Indien sondern auch in den USA verbannt ist, verliert zwei große, wichtige Märkte. Bytedance mag nicht verkaufen wollen, es mag vor allem nicht dazu gezwungen werden, aber dank Indien konnte die USA diesen Schritt erzwingen.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass sowohl Bytedance als auch die chinesische Regierung von Indiens Schritt überrascht wurden. TikTok und die anderen chinesischen Player mit internationalen Ambitionen wird eine Verbannung aus den USA immer schmerzen, aber das wäre noch aushaltbar. Aber chinesische Onlinenangebote, die weder in Indien noch in den USA stattfinden dürfen? Autsch.
Fehlt nur noch Nummer drei: Europa.
~
Nur, die EU wird sich wohl nie zu ähnlichen Schritten entscheiden können. Ich schrieb unter anderem in Nexus 30 Anfang Juli:
Ein ähnlicher Bann chinesischer Dienste wird es in der EU übrigens niemals geben. Der Grund liegt vor allem bei uns Deutschen. So etwas könnte niemals ohne Zustimmung Deutschlands geschehen. Und die deutsche Autobranche ist mit Investitionen tief in den chinesischen Markt verwickelt, der für diese Branche auch der größte und wichtigste Absatzmarkt weltweit ist. Keine deutsche Regierung wird jemals eine Disruption dieses Marktzugangs riskieren.Die Zukunft der deutschen Autobranche, und damit des Kerns der deutschen Wirtschaft, steht und fällt mit dem chinesischen Markt.3 Dieser Umstand definiert die Beziehungen Deutschlands zu China. Allein deshalb ist ein hartes Vorgehen der EU gegen chinesische Angebote wie TikTok sehr unwahrscheinlich.
Aber das ist nicht das Einzige, was Europa im Zusammenhang mit TikTok beschäftigen sollte. Es ist schließlich auch nicht das Einzige, das Europa machen kann.
~
Eine kurze Exkursion.
Globale Social Networks fallen nicht vom Himmel. Es kommt nicht oft vor und es wird vor allem nicht so oft passieren, dass ein neues Netzwerk der Übermacht der Facebook-Familie gefährlich werden könnte. Tatsächlich war zuletzt nur Snapchat ansatzweise in die Nähe gekommen; davor Instagram und Whatsapp, die beide übernommen wurden. Snapchat tat sich schwer mit Werbung, also dem Erlösstrom, gegen das Werbeduopol von Facebook und Google, und wurde auf der Feature/Endnutzer-Seite durch Instagrams Stories sehr beschädigt.
Besonders Stories sind aber interessant aus einem Grund, den man nicht zwingend sofort sieht. Stories waren und sind eine geniale Erweiterung des Feeds, sie verpacken auf eine andere Art vergleichbare Interaktionen für ein vergleichbares Netzwerk (Freunde, Bekannte und Follower). Der Newsfeed (oder die Timeline bei Twitter) sortiert die einzelnen Inhalte, Stories bündelt die Inhalte nach ihren Erzeugern. Beide Interaktionsmodi ergänzen sich sehr gut, weshalb Stories perfekt zu Instagram gepasst haben.
Der Netzwerkaspekt sieht bei TikTok aber anders aus. (Siehe ausführlich hierzu die lesenswerte Analyse auf Divinations.) Der FYP-Algorithmus braucht kein Netzwerk, keine bestehenden Verbindungen. Während Stories ergänzend gewirkt haben, merkt man Instagram Reels, Facebooks TikTok-Mashup inmitten der Explore-Seite auf Instagram, an, dass es nicht so richtig weiß, wo es hingehört. Komplementäre Formate hinzufügen – einfach. Ein Format, das sowohl inhaltsseitig als auch netzwerkseitig(!) anders funktioniert als der Kern des Dienstes? Das wird schwer für Facebo...
By neunetz.fmLink: TikTok und Europa
Text:
TikTok war ein globales1 Social Network aus China. Zwei Aussagen aus diesem Satz sind alles entscheidend für die jetzige Situation: „war“, und „China“.
~
Als Indien Anfang des Sommers populäre chinesische Angebote verbannte, verlor TikTok auf einen Schlag 200 Millionen aktive Nutzer. Das entspricht einem Fünftel der weltweiten Nutzerschaft von TikTok.
Indien geht rasant schnell online (nicht zuletzt dank Jios weltweit einzigartigen und einzigartig günstigen 4G-Netz). 2016 waren es noch 343 Millionen, 2020 sind bereits 697 Millionen Menschen in Indien online. Bis 2025 soll die Zahl auf 975 Millionen indische Onlinenutzer anwachsen. Indien ist seit einer Weile der am schnellsten wachsende Onlinemarkt weltweit. Ein UN-Report von 2019 geht davon aus, dass Indien bis 2027 China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen wird.
TikTok wird dieser Markt wohl verwehrt bleiben, solang es aus China kommt. Dafür sorgen die geopolitischen Ambitionen Chinas, die bereits zu Gefechten an der indisch-chinesischen Grenze geführt haben.
Der Verlust des indischen Marktes hat natürlich Auswirkungen auf den heutigen und künftigen Wert des ehemals globalen Netzwerks.
In Europa wird das leicht unterschätzt: Der Verlust des heute großen, morgen riesigen indischen Onlinemarkts hat alles, was jetzt bei TikTok passiert, ins Rollen gebracht. Die USA konnte die indische Situation lediglich ausnutzen.
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Man kann von Trump halten was man will2: TikToks zentrales Element ist die For-You-Page (FYP) und ihr Algorithmus. Hier findet die Distribution der Videos statt, hier werden die TikTok-Stars geboren oder begraben. Man kann Accounts natürlich auch folgen, klar. Auch TikTok will und braucht verfestigte Verbindungen im Netzwerk. Aber TikTok ist FYP, FYP ist TikTok.
Und TikTok kommt aus China.
Beides zusammen bedeutet, dass die chinesische Regierung hinter den Kulissen subtil oder weniger subtil Memes pushen kann, die der kommunistischen Partei opportun erscheinen. Macht China das heute? Unternehmen in China müssen machen, was die Regierung von ihnen wünscht, das weiß besonders die TikTok-Mutter Bytedance sehr genau. Diese Tatsache plus der Black-Box-Charakter von TikTok lassen, solang TikTok aus China kommt, alles offen. Dabei ist auch egal, wie sehr das Unternehmen beteuert, Daten nicht nach China zu schicken oder oder ein Datenzentrum in Europa aufzubauen. Die internen Datenflüsse, die Metadaten und die Steuerungen des Algorithmus, finden hinter verschlossenen Türen statt. Das ist Fakt. Und für diesen Fakt ist es egal, welche Schilder das Unternehmen nach außen sichtbar auf diesen Türen anbringt.
Deshalb ist das Vorgehen der US-Regierung zumindest allgemein gehalten hier sinnvoll und nachvollziehbar.
Deshalb wäre auch eine vergleichbare Haltung in Europa angemessen. Darf ein chinesisches Social Network Einfluss auf die europäische Öffentlichkeit nehmen, egal wie direkt, indirekt, subtil, weniger subtil, politisch motiviert oder nicht?
Das klingt hypothetisch und ist es auch.
Nicht hypothetisch ist, dass wir nie genau wissen werden, ob eine gewichtende Beeinflussung zum Beispiel stattfindet.
Ist diese Ungewissheit ok für Europa?
~
Ein TikTok, das nicht nur in Indien sondern auch in den USA verbannt ist, verliert zwei große, wichtige Märkte. Bytedance mag nicht verkaufen wollen, es mag vor allem nicht dazu gezwungen werden, aber dank Indien konnte die USA diesen Schritt erzwingen.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass sowohl Bytedance als auch die chinesische Regierung von Indiens Schritt überrascht wurden. TikTok und die anderen chinesischen Player mit internationalen Ambitionen wird eine Verbannung aus den USA immer schmerzen, aber das wäre noch aushaltbar. Aber chinesische Onlinenangebote, die weder in Indien noch in den USA stattfinden dürfen? Autsch.
Fehlt nur noch Nummer drei: Europa.
~
Nur, die EU wird sich wohl nie zu ähnlichen Schritten entscheiden können. Ich schrieb unter anderem in Nexus 30 Anfang Juli:
Ein ähnlicher Bann chinesischer Dienste wird es in der EU übrigens niemals geben. Der Grund liegt vor allem bei uns Deutschen. So etwas könnte niemals ohne Zustimmung Deutschlands geschehen. Und die deutsche Autobranche ist mit Investitionen tief in den chinesischen Markt verwickelt, der für diese Branche auch der größte und wichtigste Absatzmarkt weltweit ist. Keine deutsche Regierung wird jemals eine Disruption dieses Marktzugangs riskieren.Die Zukunft der deutschen Autobranche, und damit des Kerns der deutschen Wirtschaft, steht und fällt mit dem chinesischen Markt.3 Dieser Umstand definiert die Beziehungen Deutschlands zu China. Allein deshalb ist ein hartes Vorgehen der EU gegen chinesische Angebote wie TikTok sehr unwahrscheinlich.
Aber das ist nicht das Einzige, was Europa im Zusammenhang mit TikTok beschäftigen sollte. Es ist schließlich auch nicht das Einzige, das Europa machen kann.
~
Eine kurze Exkursion.
Globale Social Networks fallen nicht vom Himmel. Es kommt nicht oft vor und es wird vor allem nicht so oft passieren, dass ein neues Netzwerk der Übermacht der Facebook-Familie gefährlich werden könnte. Tatsächlich war zuletzt nur Snapchat ansatzweise in die Nähe gekommen; davor Instagram und Whatsapp, die beide übernommen wurden. Snapchat tat sich schwer mit Werbung, also dem Erlösstrom, gegen das Werbeduopol von Facebook und Google, und wurde auf der Feature/Endnutzer-Seite durch Instagrams Stories sehr beschädigt.
Besonders Stories sind aber interessant aus einem Grund, den man nicht zwingend sofort sieht. Stories waren und sind eine geniale Erweiterung des Feeds, sie verpacken auf eine andere Art vergleichbare Interaktionen für ein vergleichbares Netzwerk (Freunde, Bekannte und Follower). Der Newsfeed (oder die Timeline bei Twitter) sortiert die einzelnen Inhalte, Stories bündelt die Inhalte nach ihren Erzeugern. Beide Interaktionsmodi ergänzen sich sehr gut, weshalb Stories perfekt zu Instagram gepasst haben.
Der Netzwerkaspekt sieht bei TikTok aber anders aus. (Siehe ausführlich hierzu die lesenswerte Analyse auf Divinations.) Der FYP-Algorithmus braucht kein Netzwerk, keine bestehenden Verbindungen. Während Stories ergänzend gewirkt haben, merkt man Instagram Reels, Facebooks TikTok-Mashup inmitten der Explore-Seite auf Instagram, an, dass es nicht so richtig weiß, wo es hingehört. Komplementäre Formate hinzufügen – einfach. Ein Format, das sowohl inhaltsseitig als auch netzwerkseitig(!) anders funktioniert als der Kern des Dienstes? Das wird schwer für Facebo...