Kluges aus der Mitte

№ 16 Selbstorganisation bei Siemens: Ihr baut Eure Fabrik!


Listen Later

Am Anfang stand ein offizieller Auftrag für Ronny Großjohann und Dr. Robert Harms: Die Turbinenbrenner-Fertigung wieder ins Haus und nach Berlin zu holen und diese Fertigung auf dem traditionsreichen Gelände in der Hüttenstrasse aufzubauen. Die beiden haben sich gefunden, ihnen ist vor allem eines gemeinsam: Die Unzufriedenheit mit der Politik des Outsourcing, des kontinuierlichen Abbaus der Wertschöpfungstiefe - und damit verbunden die verpasste Chance, das hohe Know-how der Experten vor Ort zum Wohle des Unternehmens zu nutzen. Es gab also einen Auftrag, aber was war dann das "graswurzelige" an der Initiative?
Schon bevor der Auftrag offiziell erteil wird, wechseln die Mitstreiter in den Startup Mode. Sie schließen sich ein, lange bevor der offizielle Fabrikbauauftrag erfolgt und haben den Ehrgeiz: "Euch werden wir es schon zeigen. Was wir hier aufbauen, dazu könnt Ihr nicht Nein sagen!" Sie agieren wie ein Startup, nur nebenbei, ohne Auftrag. Neben dem normalen Job entwickeln sie die Insourcing-Idee der Brennerfertigung. Fünf Kollegen malen meisterlich Folien, entwickeln das Konzept, und gehen dann den offiziellen Weg durch die Instanzen. Es geht um 10 Mio. Euro, eine Summe, die für einen Konzern wie Siemens eigentlich kein allzu großes Risiko bedeutet, aber dennoch umfangreiche prozessuale Anforderungen bedingt. 
Der Auftrag kommt, es beginnt der formale Teil. Der Investor ist gefunden, nun wir Organisation aufgebaut, Prozesse geschaffen, Pläne gezeichnet. Es greifen die Projektplanungs- und Abwicklungsmethoden, das Risikomanagement des Konzern. New Work ist noch ein Fremdbegriff, man arbeitet, wie man bei Siemens immer gearbeitet hat. Was folgt? Der vorgeschriebene Weg des Siemens Projektmanagements wollte das Projekt einfach nicht ans Ziel bringen.  "Gescheitert ist der erste Versuch nicht durch die etablierten Methoden, sondern trotz der Methoden" sagt Robert Harms. Alle 50 Kollegen, die an dem Projekt beteiligt waren, haben nur noch auf die Werkzeuge referenziert. Alle waren in Bewegung, aber das Projekt ist nicht vorangekommen. "Es fühlte sich so träge an", berichtet Ronny Großjohann.
Eines Tage, vor dem Kiosk, kommt dann der Entschluss: Bei der nächsten Sitzung mit den Kollegen machen wir alles anders. Wir stoppen alles, wir hören erstmal auf. Große Enttäuschung bei den Kollegen: Was jetzt? Ich wurde doch dafür abgestellt! Das war doch mein Auftrag! Dafür war ich doch mandatiert! Aber kein einziger sagte: Wir wollen doch diese Fabrik bauen! Das große Ganze war auf dem Weg verloren gegangen.
"Wir haben uns gefragt: Wie schaffen wir es, den Leuten den nötigen Freiraum zu geben?" Nach außen hin haben die beiden Ingenieure das Projekt natürlich nicht aufgegeben, aber nach innen hin haben sie die Dinge anders gemacht. Die Frage, die sie nun stellten: Wer hat Lust, diese Fabrik mit uns zu bauen? Wer will diese Fertigung mit uns aufbauen?
Dann begann der Spagat: Nach innen New Work, nach außen PM @ Siemens. Wie schützt man dann in einem Konzern das neue Innenleben? Die Klaviatur des Management-Theaters muss man spielen können, sagt Robert. "Wir haben natürlich auch hundert weitere Folien reported, damit die Entscheider das Gefühl haben, hier läuft alles in bester Ordnung " Ob das im Nachhinein betrachtet richtig war, bezweifelt heute Robert Harms.
...more
View all episodesView all episodes
Download on the App Store

Kluges aus der MitteBy Alexander Kluge, Sabine Kluge