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The love of a mother B1-B2


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Das Kind hätte bereits im Augenblick seiner Geburt Angst zu sterben, wenn ein gnädiges Schicksal es nicht davor bewahrte, sich der Angst bewußt zu werden, welche mit der Trennung von der Mutter und von seiner Existenz im Mutterleib verbunden ist. Selbst nach der Geburt unterscheidet sich das Kind kaum von dem, was es vor der Geburt war; es kann noch keinen Gegenstand erkennen, es ist sich seiner selbst und der Welt als etwas außerhalb von ihm Liegendes noch nicht bewußt. Es fühlt lediglich den positiven Eindruck von Wärme und Nahrung, doch es unterscheidet diese Wärme und Nahrung noch nicht von deren Quelle, der Mutter. Die Mutter ist Wärme, die Mutter ist Nahrung, die Mutter ist der euphorische Zustand von Befriedigung und Sicherheit. Es ist dies ein narzißtischer Zustand, um Freuds Begriff zu gebrauchen. Die äußere Realität, Personen wie Dinge, sind nur insofern von Bedeutung, als sie für den inneren Zustand des Körpers eine Befriedigung oder Versagung bedeuten. Real ist nur das, was im Inneren vorgeht; alles außerhalb Befindliche besitzt nur in bezug auf die eigenen Bedürfnisse Realität - niemals jedoch in bezug auf die objektiven Eigenschaften oder Bedürfnisse.
In dem Maße, wie das Kind weiter wächst und sich entwickelt, erlangt es die Fähigkeit, Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind. Es unterscheidet jetzt die Befriedigung, gefüttert zu werden, von der Brust der Mutter. Schließlich erlebt es dann seinen Hunger und dessen Stillung durch die Milch, die Brust und die Mutter als verschiedene Dinge. Es lernt auch viele andere Dinge voneinander zu unterscheiden und merkt, daß sie eine eigene Existenz besitzen. Jetzt lernt es auch, sie beim Namen zu nennen und mit ihnen umzugehen. Es lernt, daß Feuer heiß ist und weh tut, daß der Körper der Mutter warm ist und
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wohl tut, daß Holz hart und schwer und daß Papier leicht ist und daß man es zerreißen kann. Es lernt auch mit Menschen umzugehen; es lernt, daß die Mutter lächelt, wenn es ißt, daß sie es auf den Arm nimmt, wenn es weint, daß sie es lobt, wenn es sein Geschäft verrichtet. Alle diese Erfahrungen kristallisieren sich und gehen ein in die Erfahrung: Ich werde geliebt. Ich werde geliebt, weil ich hilflos bin, ich werde geliebt, weil ich schön und bewundernswert bin, ich werde geliebt, weil Mutter mich braucht. Allgemeiner ausgedrückt heißt das: Ich werde geliebt, weil ich das bin, was ich bin, oder vielleicht noch präziser: Ich werde geliebt, weil ich bin.
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