philosophie. podcast. serie I. Traum.

#5. Gegenwirklichkeit.


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Romantisierungen
5.1. In der romantischen Philosophie – die sich der Philosophie Kants entgegenstellt, gegen alle Systemzwänge rebelliert und stattdessen „dichterisch“ sein will und „poetisch“ schreiben – gewinnen die Nacht, der Schlaf und namentlich der Traum an Bedeutung. Das Träumen wird zum Urbild der freien, von der Wirklichkeit losgebundenen Schöpfung: einer Schöpfung, die bewußt „irrationale“ Extreme (Begeisterung, Liebesleidenschaft, Wahn und Tod) nicht fürchtet.
5.2. Neben der – etwa bei Novalis pathetisch gefeierten – symbolischen Aufwertung von Traum und Nacht (oder auch des Tagtraums) kann man die von den romantischen Autoren praktizierte „magische“ Gesprächskultur und auch die bewußt bruchstückhafte Schreibweise des Fragments als Konstruktionsprinzipien betrachten, die das Denken dem Träumen näherbringen. Etwa die Texte (und die theoretischen Thesen) Friedrich Schlegels spielen mit der „polemischen“ Verkreuzung von „Wirk“-lichkeiten, die in sich stimmig, aber untereinander radikal verschieden sind (und wirken).
5.3. Novalis favorisiert die Nacht und den Tod, Schlegel eher die Tagphantasie und das Leben. Im Prinzip steht die Wachwirklichkeit in der Romantik dem Traum gleichwohl letztlich „symmetrisch“ entgegen, das heißt: ohne ein Vorrecht des einen gegenüber dem anderen. Der ideale Punkt des romantischen Denkens liegt auf der Schwelle dazwischen, im Übergang. So wie wir am Tage reflektieren können (und uns dieser Schwelle annähern), gibt es auch (wiederum in der Theorie strikt symmetrisch) eine Reflexivität des Traums: Wenn wir träumen zu träumen, nähern wir uns dem Übergang zum Wachen an.
5.4. Eine Verschärfung erfährt der ausbalancierte „polemische“ Kontrast von
Wachwirklichkeit und Traum, wo romantische Autoren – wie etwa Jean Paul – die Form des Traums ironisch gegen die Wirklichkeit ausspielen, um so der gesamten Form der Wirklichkeit wirksam einen Spiegel vorzuhalten. In der Ironie verwandelt sich die Wirklichkeit des Traums zu einer Spitze gegen die Realität – womit freilich der Traum selbst nicht mehr bloß „Phantasie“ bleibt. Eher steht er gleichsam als neuen (bessere? schlechtere?) Gegen-Wirklichkeit im Raum. Im ironischen Traum schießen literarische Einbildung, politische Parodie wie auch politische Utopie“ zusammen. Aus dem gegen die Wachwirklichkeit arbeitenden Traum wird der Traum als eine Gegenwirklichkeit, die dafür arbeitet, daß die Wachwirklichkeit anders wird.
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philosophie. podcast. serie I. Traum.By audioscience / TU Darmstadt.