Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Meine Neubeurteilung von Brasiliens Lula muss noch etwas warten. Denn hier kommt ein vielleicht wichtigeres Thema. Als ich 2012 zum ersten Mal von Alexander Dugin hörte, war es die Warnung, man dürfe ihn nicht lesen, weil er ein russischer Nazi sei, ein Einflüsterer Putins. Da Dugin aber nicht wirklich einflussreich war, gar keinen direkten Zugang zu Putin hatte, und oft nur in russischer Sprache ungekürzt verfügbar war, blieb er mir bis 2021 weitgehend fremd. Als dann seine Tochter Dugina am 23. August 2022 einem Bombenattentat vermutlich ukrainischen Nationalisten zum Opfer fiel, begann ich mich doch näher mit diesem „ultranationalistischen“ bzw. „neofaschistischen Politiker und Politologen Russlands“ (Wikipedia) zu beschäftigen. Während er bis zum Mord seiner Tochter ein eher wenig bekannter Intellektueller war, dessen schwer verständlichen, oft philosophischen Aussagen nur in einer kleinen Blase verehrt wurden, könnte er durch dieses radikale Ereignis nun doch zu einer Gefahr werden. Für wen, versuche ich in diesem Artikel herauszuarbeiten.
Dugins Entwicklung
Um dieses Format nicht zu sprengen, bitte ich das Kapitel über Dugins Entwicklung im Anhang 1) zu lesen.
Einordnung
Wenn man ein Äquivalent Dugins im Westen sucht, wird man schnell in der Person von Zbigniew Brzeziński und seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“4) fündig. Mit dem Unterschied, dass hier der Weg zu einer Weltherrschaft aufgezeigt wird, während Dugin sich auf eine Führerschaft in Eurasien fokussiert. Außerdem war Brzeziński Berater mehrerer Regierungen, was auf Dugin nie zutraf.
Während man den Eindruck hat, dass Brzezińskis Buch als eine Art Drehbuch für die Geopolitik aller folgenden US-Regierungen diente und dient, war Dugins Einfluss ganz eindeutig bis zur Krise in der Ukraine nur gering. Insbesondere Putin hatte lange versucht, Russland in den Westen zu integrieren, statt eine eurasische Großmachtposition in kultureller Distanz zum Westen aufzubauen.
In der Zwischenzeit jedoch sind Dugins Ideen von den Rändern her in den politischen Mainstream Russlands vorgedrungen. Dies ganz eindeutig als Folge der offensichtlichen Verachtung des Westens gegenüber Russland, der NATO-Erweiterung, den Kündigungen von Rüstungsvereinbarungen, den militärischen Drohungen und nuklearen Erstschlagphantasien in Teilen der US-Elite, und nicht zuletzt durch die Krise in der Ukraine.
Dadurch erhält eine nationalistische Strömung, die schon jetzt nach den Kommunisten die stärksten oppositionellen Kräfte gegenüber der regierenden Partei Putins darstellt, immer mehr Zulauf. Was nicht zuletzt Putin zwang, seine bis 2014 eher abwartend, und auf Verbesserung der Beziehungen mit dem Westen hoffende Politik, neu zu formulieren.
Dugins heutige Analyse
Um Dugins heutige Rolle zu erkennen, hilft vielleicht eine Analyse der Ukraine Krise, welche er am 1. März in Geopolitika.ru veröffentlichte.5) Dugin beschreibt darin sechs Phasen der „Militärischen Sonderoperation“ in der Ukraine.
Die erste Phase sei von russischen Erfolgen geprägt gewesen: Während dieser Phase überrannten die russischen Streitkräfte Sumy und Tschernigow und erreichten Kiew von Norden her, was den Zorn des Westens erregt habe. Moskau hätte jedoch damit seine Ernsthaftigkeit bei der Befreiung des Donbass demonstriert und durch einen schnellen Vorstoß von der Krim die Kontrolle über zwei weitere Regionen, Cherson und Saporoshje, sowie über einen Teil der Region Charkow erlangt.
Allerdings sei Mariupol, eine strategisch wichtige Stadt der „Volksrepublik Donezk“, nur mit Mühen eingenommen worden. Trotzdem habe Russland mit seinem schnellen und überraschenden Handeln zu Beginn der Operation einen bedeutenden Erfolg erzielt. Aber, so Dugin, man wisse noch nicht genau, welche Fehler in dieser Phase gemacht wurden, welche dann später zu Misserfolgen geführt hätten.