Christoph predigt

Alles kommt ans Licht


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Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Von Gott geliebte, hört, aus der Hiobdichtung, aus dem 14. Kapitel des Hiobbuchs. Der, der redet, ist Hiob, der Leidende, im Gespräch mit seinen Freunden, die versuchen, sein Leiden zu erklären und ihn zu trösten. Hört, was er sagt:

Jeder Mensch kommt als vergängliches Wesen zur Welt. Er lebt nur kurze Zeit. Sein Leben ist voller Sorgen. Jeder Mensch ist wie eine Blume. Er blüht kurz und verwelkt. Er ist wie ein Schatten. Er bleibt nicht lange. Gott, du schaust genau auf den Menschen. Du hältst Gericht über mich. Wer kann aus Schmutz etwas Sauberes machen? Niemand kann das.Gott, du hast die Lebenszeit des Menschen bestimmt. Du hast sein Lebensalter begrenzt. Er kann es nicht überschreiten. Gott, schau weg von ihm. Lass ihn in Ruhe. Er soll sich auf sein Lebensende freuen können – wie ein Arbeiter auf den Feierabend.Ich wünschte: Du versteckst mich in der Welt der Toten. Du hältst mich verborgen, bis dein Zorn vorbei ist. Und wenn dein Zorn vorbei ist, denkst du an mich. Du wirst mich rufen. Ich werde dir antworten. Du wirst Sehnsucht nach mir haben. Du hast mich gemacht.Ich wünschte: Jetzt überwachst du jeden Schritt. Aber du beachtest meine Fehltritte nicht. Ich wünschte: Du packst meine Fehler weg. Du versteckst meine Schuld. (Hiob 14,1-6.13.15-17; von mir in leichte Sprache übertragen).


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi."

Offenbar. Aufgedeckt. Was verborgen war, wird sichtbar. Auch die kleinsten Details. Alles kommt ans Licht. Schonungslos.

Der leidende Hiob weiß, wer er ist. Er kennt sich ja. Ein vergänglicher Mensch. Klein und unbedeutend. Weit weg von Vollkommenheit. Fehlerhaft. Vergänglich. Jeder Fehltritt ist ihm schmerzlich bewusst.

"Gott sieht alles"--das ist kein Trost in seinem Leid. "Gott sieht alles"--das scheint ihm geradezu der Kern seiner Not zu sein. Gott weiß um deine Fehler. Gott weiß um dein Versagen. Gottes Blick auf dich sieht auch die kleinsten Details. Ein greller Scheinwerfer auf das, was du lieber versteckt halten würdest.

"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl..."

Hiob fühlt sich ausgeliefert. Nackt und hilflos vor Gottes Blick. Ein Richter, der streng hinschaut und nichts übersieht, was schiefgeht.

Es ist ein Blick, der keinen Abstand lässt. Ein Blick, der alles durchdringt. Ein Blick, der nicht müde wird. Nicht freundlich. Nicht weich. Nicht tröstlich. Für Hiob fühlt sich dieser Blick an wie ein Messer. Er schneidet durch alle Schichten hindurch. Er zeigt, was er selbst nicht mehr sehen will. Seine Müdigkeit. Seine Wut. Seine Zweifel. Seine Schuld. Der Blick Gottes trifft ihn genau dort, wo er am verletzlichsten ist. Er spürt: „Ich kann nichts verstecken. Ich kann nichts retten. Ich kann mich nicht verteidigen.“

Gerichtsangst.

So fühlt sich das für Hiob an. Wie ein Gericht, das längst begonnen hat. Noch bevor ein Wort gesprochen wurde. Noch bevor irgendetwas erklärt ist.

Es ist, als ob jemand das Tagebuch seines Lebens aufschlägt. Jede Seite. Jeden Eintrag. Jedes Wort, das er unbedacht gesagt hat. Jede Entscheidung, die falsch war. Jede Versäumnis. Jeder Moment, in dem er nicht genug war.

Hiob denkt: „Gott sieht mich. Gott kennt mich. Gott hält mir alles vor.“ Dieser Gedanke macht ihn klein. Er drückt ihn zu Boden. Er nimmt ihm die Luft.

Gerichtsangst heißt: Du stehst im Licht. Keine Schatten mehr. Keine Ausreden mehr. Kein Ausweg.


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl..."

Vielleicht sitzt du heute hier mit einem schlechten Gewissen, weil du jemanden verletzt hast, weil du etwas versäumt hast oder weil du nicht da warst, als dich jemand brauchte – und dann trifft dich dieser Satz vom Richterstuhl Christi wie ein Schlag, weil du denkst: Gott hat das alles gesehen, und ich kann nichts mehr verstecken.

Vielleicht gehörst du zu denen, die eigene Fehler nicht loslassen können, obwohl andere längst vergeben haben, und du trägst ein inneres Archiv mit Momenten, die dir peinlich sind oder die du bereust – und der Gedanke an Gottes Blick macht dir Angst, weil du dich fragst, ob Gott dich mit diesen alten Lasten überhaupt wollen kann.

Vielleicht spürst du die Angst vor dem Älterwerden, vor Krankheit oder dem Ende des Lebens, und du merkst, wie Kräfte schwinden und Wege kürzer werden – und der Satz vom Offenbarwerden trifft dich ins Herz, weil du dich fragst, wie Gott dich sieht, wenn du schwächer wirst und nichts mehr leisten kannst.

Gerichtsangst.

Fehler, Versagen. Zu kurz gekommen sein.

Gott sieht alles. Was sieht er bei mir?


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl..."

Hiob würde sich am liebsten verstecken. Im Totenreich, so stellt er sich das vor. An einem Ort, ganz weit weg, wo nicht einmal Gott hinkommt. Eine Pause, eine Auszeit von diesem Blick. Vielleicht kennst du das auch, wenn du am liebsten ein Loch graben würdest unter deinem Stuhl und dich drin verstecken.

Wenn doch nur irgendwann sein Blick vorüberginge.


Von Gott geliebte Menschen in Gäufelden, wir kommen da nicht drum herum: Wir sind vergänglich. Wir sind verletzlich. Wir sind unvollkommen. Wir machen Fehler. Wir sind nicht fertig, nicht perfekt. Das kann man nicht wegdichten. Nicht wegreden--auch nicht mit einem schnellen Sprung hinein ins Happy End, ins Evangelium. Wir müssen es aushalten, dass das Leben so ist. Unser Leben. Mein Leben. Wir müssen es aushalten, dass die Wahrheit nicht schön ist. Gerade heute, an diesem vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, wenn nachher allerorts die Gedenkfeiern sind zum Volkstrauertag. Wenn wir sehen, wozu Menschen fähig sind. Was wir anrichten, mit den Fehltritten unseres Lebens. Mit gut gemeint und schlecht gemacht. Mit der Konzentration auf das Eigene, auf das, was mir jetzt am Nächsten liegt, was ich zu brauchen glaube.

"Wir müssen alle offenbar werden..."

Das tut weh.

"Ich wünschte: Du packst meine Fehler weg. Du versteckst meine Schuld."


Diese Sehnsucht ist ehrlich. Und sie ist alt. Sie zieht sich durch die ganze Bibel. Auch Psalm 50 spricht davon. Da tritt Gott selbst auf. Als Richter. Da redet Gott mit kräftiger Stimme. Nicht weichgespült. Nicht harmlos. Gott sagt: Ich bin nicht blind. Ich bin nicht stumm. Ich sehe, was ihr tut. Ich sehe das Gute. Ich sehe das Schlechte. Ich sehe, wenn ihr einander weh tut. Ich sehe, wenn ihr euch selbst etwas vormacht. Ich sehe, wenn der Schein größer ist als die Wahrheit.

Das tut weh. Weil wir uns darin wiederfinden.

Gott hält uns einen Spiegel vor. Um uns wachzurütteln. „Ich rede mit euch, weil ihr mir nicht egal seid.“ Gott will Wahrheit. Keine Opfer. Keine frommen Sprüche. Kein Alibi. Sondern ein ehrliches Herz. Ein Leben, das sich nicht versteckt. Ein Leben, das sich wieder zu Gott hinwendet.

"Rufe mich an in der Not."

Kein Urteilsspruch. Eine Einladung.

Gott ruft uns ins Licht – nicht um uns zu vernichten. Sondern um uns zu retten. Gottes Gerichtsblick ist ein Blick, der zur Wahrheit führt. Und Wahrheit ist nicht gegen uns. Wahrheit ist der Ort, an dem Heilung beginnt.


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl..."

...Christi!

"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!"


Die Hiobdichtung kommt mitten aus dem Leben. Da bleiben die großen Fragen oft unbeantwortet. Da bleibt die Spannung unaufgelöst stehen. Es gibt kein einfaches Happy End--vielleicht auch gut so. Das wird der Realität ja nicht gerecht.

Und doch muss ich als Christ heute weiter schauen. Muss suchen, wie Luther meint, "was Christum treibet". Ohne Evangelium bleiben wir trostlos.

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.

Ist das am Ende gar eine gute Nachricht?


Ja – wenn wir auf das letzte Wort hören.

Denn der Richter, vor dem wir offenbar werden, hat einen Namen: Christus. Das ändert alles!

Der, der uns anschaut, ist Gott selbst, der doch in Christus unseren Platz einnahm--hier, auf der Seite des unvollkommenen Lebens. Hier, in all unserer Fehlerhaftigkeit, in Vergänglichkeit, in unserer Schuld.

Das ändert alles.

Der, der uns ansieht, ist nicht ein unbarmherziger Richter. Der, der uns ansieht, ist derselbe, der Menschen geheilt hat. Der dieselben müden Augen gesehen hat wie Hiob. Der dieselbe Scham gespürt hat, dieselben Tränen, dieselbe Angst vor Versagen. Der sich zu Menschen gesetzt hat, die sich selbst aufgegeben hatten. Der niemanden weggeschickt hat, der ehrlich zu ihm kam.

Der, der uns ansieht, ist der, der hier vom Kreuz herunterblickt. Der gebetet hat, "Vater, vergib ihnen." Das ist sein Urteil über die Welt. Nicht: "Du Versager!". Sondern: "Mein Leben, für dich!"

Der, der uns anschaut, ist doch der, der unsere Vergänglichkeit auf sich nahm. Der unseren Tod starb. Der hinabstieg in das Totenreich, um zu zeigen: Du kannst dich nicht verstecken vor Gott. Du musst dich nicht verstecken vor Gott! Es ist kein Ort, kein Zustand, kein Lebensumstand mehr ohne Gott, weil er sich hineinbegibt in Christus selbst in die gottverlassensten Ecken unserer Existenz, nicht um uns fertigzumachen--sondern: Um uns heil zu machen. Um uns Leben zu bringen!

Der Richter, vor dem wir offenbar werden, ist der, der uns beim Namen ruft – wie Maria am Ostermorgen. Der, der den verlorenen Sohn nicht zur Rechenschaft zieht, sondern in die Arme nimmt. Der Petrus nicht auf seine Fehler festlegt, sondern ihm neue Verantwortung gibt. Der Thomas nicht ausschließt, sondern seine Zweifel berührt. Der die Frau am Jakobsbrunnen nicht beschämt, sondern ihr neues Leben zuspricht.


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!"

So sieht Christus dich an. So sieht Christus mich an. So sieht Christus uns an: mit einem Blick, der nicht vernichtet, sondern verwandelt.

Ich glaube, vor Christus kommt alles ans Licht. Da siehst du dich genau. Wer du bist. Was du getan, gedacht und versäumt hast. Alles. "Offenbar werden." Ich glaube, da kommt ans Licht, wer du sein könntest. Was in dir drin steckt. Welches Potential da wäre, wenn Gottes Schöpfung in dir sich entfaltet, Leben gewinnt, ans Licht kommt und blüht. Die Wahrheit ist: Da sieht man dann auch alles, was nicht so ist, wie es sein sollte.

Und Gott--nimmt dich trotzdem an. Durch Christus. DAS ist Evangelium.

Gericht heißt bei Christus nicht Abrechnung, sondern Wahrheit in Liebe. Heilende Wahrheit. Befreiende Wahrheit. Wahrheit, die sagt: Du musst dich nicht mehr verstecken. Ich kenne dich – und ich lasse dich nicht.

"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!"

Gericht beginnt da, wo du ans Licht kommst. Da sieht man, wer du bist. Und wer du sein kannst. Und dann wirst du "gerichtet". Krummes wird gerade. Flecken werden sauber. Dunkles wird hell.

Gott schenkt dir Leben. So, wie er es versprochen hat. Christus in dir!


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!"

Und das letzte Wort, das Urteil, ist schon gesprochen: Habt ihr denn sein "Ja" in der Taufe vergessen? Habt ihr denn nicht mehr im Ohr, dass er in Christus längst gesagt hat, wie er es mit uns hält?


"Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!"

Aber wir werden offenbar vor dem, dessen Herz weit genug ist, alles auszuhalten, was wir sind. Vor dem, der unsere Schuld nicht festhält, sondern trägt. Vor dem, der unsere Vergänglichkeit teilt und unser Leben erneuert. Vor dem, der uns ansieht wie Menschen, nach denen Gott – wie Hiob sagt – Sehnsucht hat.

Darum kann sein Blick auf uns nicht der Grund der Angst sein – sondern der Anfang der Hoffnung.

Amen.

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Christoph predigtBy Christoph Fischer


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