Christoph predigt

Blühende Landschaften


Listen Later

Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Von Gott geliebte Menschen, hört, aus dem Jesajabuch, aus dem 58. Kapitel:


Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben.Nimm Menschen in dein Haus auf, die kein Zuhause haben.Gib Kleidung den Menschen, die frieren.Sei für deine Verwandten da.Dann geht dein Licht auf wie die Sonne am Morgen.Deine Wunden heilen schnell.Deine Gerechtigkeit geht vor dir her.Die Herrlichkeit von Gott folgt dir nach.Dann rufst du zu Gott, und Gott antwortet dir.Du schreist um Hilfe, und Gott sagt: Hier bin ich.Wenn du aufhörst, Menschen zu unterdrücken.Wenn du aufhörst, mit dem Finger auf andere zu zeigen.Wenn du aufhörst, böse Worte zu reden.Wenn du dein Leben mit Menschen teilst, die Hunger haben.Wenn du Menschen hilfst, die in Not sind.Dann strahlt dein Licht in der Dunkelheit.Dann wird es um dich hell wie am Mittag.Gott führt dich immer.Auch in der Wüste gibt er dir genug zu essen.Er macht dich stark.Du bist wie ein Garten mit viel Wasser.Du bist wie eine Quelle, die niemals austrocknet.Die Menschen aus deinem Volk bauen die alten Ruinen wieder auf.Du stellst die Häuser und Mauern wieder her, die schon viele Generationen alt sind.Man wird dich „Mauerbauer“ nennen.Man wird dich „Wegebauer“ nennen, der die Wege wieder zum Leben bringt.(Jesaja 58,7-12, von mir in leichte Sprache übertragen)



Stell dir vor: Eine Demo.

Die Straßen sind voll von Menschen. Manche tragen bunte Fahnen, andere halten Pappschilder in die Höhe. Auf den Transparenten steht: „Wohnen ist Menschenrecht“, „Kein Kind soll hungrig sein“, „Arbeit muss zum Leben reichen“. Lautstark fordern sie: „Solidarität statt Spaltung“, „Frieden jetzt – keine Aufrüstung“. Trommeln geben den Takt vor, Rufe hallen durch die Stadt: „Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“.

Neben ihnen laufen Gruppen junger Menschen mit Plakaten: „Rettet das Klima“, „Hört auf die Wissenschaft“, „Es gibt keinen Planet B“. Andere Schilder mahnen: „Heizung, Essen, Wohnung – für alle bezahlbar“, „Kälte tötet“, „Stoppt die Ungerechtigkeit“. Die Menge ist bunt gemischt: Familien mit Kindern, Rentner:innen mit Trillerpfeifen. Manche wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, zu hungern, zu frieren, keine Wohnung zu finden. Alle eint der Ruf: Es muss sich etwas ändern.

Die Unzufriedenheit ist groß in unserem Land. Die Unzufriedenheit gab es immer. Schon damals.

Stell dir vor: Eine Demo.

Die Menschen sind zurück in ihrer Heimat. Ich muss kurz ausholen. Das Jesajabuch der Bibel sammelt die Worte von mindestens 3 Propheten. Wir nennen die heute Proto-, Deutero- und Tritojesaja. Also sowas wie Jesaja I, II und III. Am Anfang finden sich Gerichtspredigten. Jesaja I ruft zur Umkehr, zum Leben nach Gottes Geboten. Sonst droht Schlimmes, mahnt er. Unheil. Krieg. Gefangenschaft im Exil. Und genauso kommt es: Babylon, die riesige Weltmacht, fällt im kleinen Staat Juda, dem Süden Israels ein und erobert das ganze Land. Zerstörung. Ruinen. Exil in der Ferne. Alles am Ende. Nein, nicht alles. Gott ist ja treu, auch wenn wir es nicht sind. Jesaja II spricht zu den Menschen im babylonischen Exil: Gott hat euch nicht vergessen. Gott bringt euch zurück in euer Land. Gott macht euch wieder heil. 70 Jahre vergehen. Dann geschieht das Wunder. Rückkehr. Ein neuer Anfang. Aber viele sind enttäuscht. Was sie vorfinden, entspricht nicht den romantischen Erinnerungen an früher. Entspricht schon gar nicht den Wunschträumen, den Hoffnungen, die sie in der Gefangenschaft hegten. Die Unzufriedenheit macht sich breit.

Sie hatten gehofft: Jetzt wird alles gut. Doch die Stadt liegt noch voller Trümmer. Die Felder bringen nicht genug hervor. Viele sind hungrig, viele haben kein Dach über dem Kopf.

Stell dir vor: eine Demo. Sie tragen einfache Schilder aus Holz und Stoff: „Gott, warum siehst du uns nicht?“, „Wir fasten und beten – aber du antwortest nicht!“. Die Menge ruft: „Wo bleibt deine Gerechtigkeit?“, „Wir warten – und du schweigst“.

Es sind Frauen mit Kindern, Männer mit müden Gesichtern, Alte, die schon den Weg ins Exil mitgemacht haben. Sie beklagen die Ungleichheit, die Härte, den Streit im Volk. Manche drängen und stoßen sich, andere schreien laut ihren Frust heraus. Sie sind enttäuscht: vom Leben, von der Gesellschaft, von Gott. Sie hatten sich eine neue Zeit erträumt – aber das Land ist nicht das verheißene Paradies. Es ist hart, ungerecht und voller Streit.

Auftritt Prophet. Jesaja III. Eine Antwort von Gott, die braucht es ja.

Der will gar kein Fasten, scheint es. Darauf kommt es Gott nicht an. Die Lösung sieht ganz anders aus, sagt Jesaja III (also "Tritojesaja"):

So ein Fasten will Gott: Löst die Fesseln von Menschen, die Unrecht leiden. Nehmt den Menschen die Last von den Schultern. Lasst die Unterdrückten frei. Macht jede Art von Zwang zu Ende.(Jesaja 58,6; von mir in leichte Sprache übertragen)


Befreiung. Entlastung. Ein Ende von Zwang und Unterdrückung.

Die Zuhörer:innen nicken sich zu. Klar, da können sie mit. Darauf können sich alle einigen. Sollen die mal machen, "da oben".

Befreiung. Entlastung. Ein Ende von Zwang und Unterdrückung.

"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben."

Da wird es ganz persönlich. Es ist einfach, alles auf "die da oben" zu schieben. Veränderung, weiß Jesaja III, fängt im Kleinen an. Unten. Bei uns.

"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben."

Ob das auch für uns die Lösung sein könnte?


Ich persönlich bin ja gar kein großer Brotesser. Ich esse morgens Müsli mit Joghurt. Mittag was Warmes, gerne auch selbst gekocht, wenn die Zeit reicht. Abend schaue ich dann nochmal in die Töpfe, ob da nicht noch ein Rest drin ist. Oder ich mache mir noch ein paar Nudeln. Das klassische "Vesperbrot", wie ich es aus meiner Jugend kenne, gibt es bei mir nur noch ganz selten.

"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben."

Gestern war Pia Brot kaufen, mit Rebecca, meiner Frau. Das haben sie zumindest gesagt, als sie los gingen. Kurz darauf kam ein Foto, per WhatsApp, aus der Bäckerei. Pia, strahlend vor einem Stück Erdbeerkuchen. Erdbeerkuchen statt Brot. Das haben wir nämlich in unserem Land.

"Wenn die Menschen kein Brot haben,", meinte Marie Antoinette kurz vor Beginn der französischen Revolution, als die arme Bevölkerung gegen den Hunger protestierte, "warum essen sie dann keinen Kuchen?"

"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben."

Der Satz kommt aus einer anderen Zeit. Da war Brot das Grundnahrungsmittel Nummer eins. Da gab es jeden Tag Brot. Zu jedem Essen. Und nicht die dicken Laibe, die unser Bäcker heute bäckt. Ganz dünne Fladen, gebacken aus frisch gemahlenem Mehl auf dem heißen Stein. Eine Menge Arbeit für wenig Essen. Ein paar Oliven dazu vielleicht. Ein bisschen Ziegenkäse. Feigen. Datteln. Wenn man die hatte. Sonst eben nur Brot. Und manchmal nicht mal das. Die meisten lebten von Tag zu Tag, von der Hand in den Mund.

"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben.", heißt nicht nur: "Teile dein Brot." Du selbst kannst ja noch den Erdbeerkuchen essen. Es heißt: "Teile, was du zum Leben hast." Teile das, was dir zur Verfügung steht. Alles. Ohne Einschränkung. Auch den Erdbeerkuchen. Die nächsten Sätze machen das klar:

Nimm Menschen in dein Haus auf, die kein Zuhause haben.Gib Kleidung den Menschen, die frieren.Sei für deine Verwandten da.


Man könnte sagen: Sei bereit, dein Leben mit anderen zu teilen. Leb nicht nur für dich. Lebe in der Verbundenheit mit anderen.


Dann geht dein Licht auf wie die Sonne am Morgen.Deine Wunden heilen schnell.Deine Gerechtigkeit geht vor dir her.Die Herrlichkeit von Gott folgt dir nach.Dann rufst du zu Gott, und Gott antwortet dir.Du schreist um Hilfe, und Gott sagt: Hier bin ich.

...

Dann strahlt dein Licht in der Dunkelheit.Dann wird es um dich hell wie am Mittag.Gott führt dich immer.Auch in der Wüste gibt er dir genug zu essen.Er macht dich stark.Du bist wie ein Garten mit viel Wasser.Du bist wie eine Quelle, die niemals austrocknet.Die Menschen aus deinem Volk bauen die alten Ruinen wieder auf.Du stellst die Häuser und Mauern wieder her, die schon viele Generationen alt sind.


Die Segensbilder in diesem Text sind reich. Sie malen uns vor Augen, wie es sein könnte. Ein Leben, eine Gemeinschaft, wie man sie sich wünscht. "Schalom" würde man das auf Hebräisch nennen. Und "Friede" übersetzt dieses Wort wirklich nur sehr unzureichend. Ein vollumfängliches Wohlergehen in der Fülle des Lebens, die Gott schenkt.

Irgendwie kamen sie mir auch bekannt vor, diese Bilder. Vor allem, als wir vorgestern 35 Jahre deutsche Einheit gefeiert haben. Da fiel mir ein, wo ich so etwas schon mal gehört hatte. Wer so alt ist, wie ich, der wird sich daran vielleicht noch erinnern. Ich zitiere es euch. Aus einer Fernsehansprache zu einem Festakt, am 1. Juli 1990, wenige Monate vor der Einheit. An dem Tag trat die Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der noch bestehenden DDR in Kraft. Die D-Mark galt jetzt überall. Ein strahlender Bundeskanzler Helmut Kohl wandte sich an alle, die ihm zuhören wollten: "Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen,", versprach er, "Mecklenburg/Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg; Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt."

Blühende Landschaften. "Du bist wie ein Garten mit viel Wasser. Du bist wie eine Quelle, die niemals austrocknet." Die Menschen bauen Ruinen wieder auf. Und so weiter. Immer wieder dieser alte Wunsch.


"Teile dein Brot mit Menschen, die Hunger haben." Lebensmittel, Kleidung, Wohnung. Teilt das ganze Leben. Lebt es miteinander. Ihr gehört doch zusammen. Niemand ist alleine hier.

Vielleicht ist es das, was uns in den letzten 35 Jahren nur unzureichend gelungen ist?

"Wenn du aufhörst, Menschen zu unterdrücken. Wenn du aufhörst, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wenn du aufhörst, böse Worte zu reden. Wenn du dein Leben mit Menschen teilst, die Hunger haben. Wenn du Menschen hilfst, die in Not sind. Dann strahlt dein Licht in der Dunkelheit.", sagt Gott durch Jesaja III. "Dann wird es um dich hell wie am Mittag."


Mein Blick fällt hier vorne auf die reichen Erntegaben. "Typisch Gott", denke ich. Der stellt gar nicht nur Bedingungen. Segen gibt es nicht nur am Ende, wenn wir alles richtig gemacht haben. Gott geht in Vorleistung. Er versorgt uns. Wie Jesus, der seinen Jüngern das Brot reicht, das sie an Tausende austeilen. Bei aller Unzufriedenheit haben wir wirklich nicht nur Grund, zu meckern, sondern erst einmal ganz viel Grund, zu danken. Uns geht es gut. Wir leben in einem der reichsten, sichersten, wohlhabendsten, besten Länder der Welt und es gab kaum jemals eine Zeit, in der es Menschen so gut ging wie uns hier heute.

Konsumiert das nicht nur allein, will uns Jesaja III zurufen. Lebt mit dieser Fülle als Menschen, die mit anderen verbunden sind. Nicht nur: "Mein Haus, mein Auto, mein Erdbeerkuchen". Nehmt wahr, dass wir zusammengehören. Darin liegt erst der eigentliche Segen. Nicht in dem was wir haben. In dem, was wir gemeinsam sind. In dem, wie wir miteinander leben.

Du. Deine Familie. Deine Nachbarn. Dein Land.

Jesaja III wird noch für etwas ganz Revolutionäres bekannt werden. Über das bisherige Reden vom Bund Gottes mit Israel hinaus erweitert er das Heilsversprechen Gottes auf alle Menschen auf der ganzen Welt. Alle gehören dazu.

Du. Deine Familie. Deine Nachbarn. Dein Land. Dein Welt.

Dein Reichtum, deine Fülle, das, wofür du dankbar sein kannst, werden zum Segen für alle.

Wo es Menschen besser geht, sind wir alle gesegnet.

Könnte das dein "Danke" sein -- und der Anfang der Heilung unserer Gesellschaft, unserer Welt?


Stell dir vor: Keine Demo.

Ein Fest stattdessen, in einem blühenden Garten, einer blühenden Landschaft, einer besseren Welt. Ein Fest. Erntedank. Ein riesiger Tisch. Du teilst deinen Erdbeerkuchen und probierst vom Couscous deiner syrischen Nachbarin. Der Junge da drüben sieht gut aus in der Jeans, die mal bei dir im Schrank hing. Der Duft vom frisch gebackenen Brot liegt in der Luft und die Farben von Tomaten, Gurken, Kürbis und Zitronen. Überall hört man Lachen im Garten. Frieden, so plastisch, dass man ihn fast greifen kann.


Blühende Landschaften.

Sie beginnen mit einem Stück Brot. Oder Erdbeerkuchen. Einer Jeans aus deinem Schrank. Mit Zeit füreinander. Mit dem Abbau von Zäunen und dem Aufstellen von Tischen. Weil Segen gemeinsam viel besser schmeckt.

Segen ist nämlich das, was am Ende blüht.

Gott sei Dank dafür.

Amen.

...more
View all episodesView all episodes
Download on the App Store

Christoph predigtBy Christoph Fischer


More shows like Christoph predigt

View all
Hoffnungswort - Predigten von Pfarrer Andreas Roß by Andreas Roß

Hoffnungswort - Predigten von Pfarrer Andreas Roß

0 Listeners