Erzählkünstler

"Blumfeld, ein älterer Junggeselle" (Franz Kafka)


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Wenn der Mensch lange alleine lebt, ohne Abgleich und Austausch mit irgendeinem Partner – Freund, Freundin, Liebespartner, Verwandter –, ohne den vielleicht auch mal korrigierenden Einfluss von außen, dann wird er möglicherweise sehr eigen, komisch, kauzig. Entwickelt Gewohnheiten, die nur er selbst zu ertragen imstande ist, und Ansichten, die dann schwerlich auf ein gesundes soziales Verständnis und Verhalten schließen lassen. Blumfeld, die Kafka-Figur, der wir in dieser Erzählung begegnen, gerät zu Hause in Streit mit der Bedienerin, fühlt sich im Job umgeben von „Faulenzern“, sich selbst unterschätzt und ist zudem sicher, dass alle anderen ihre eigene, teils lächerliche Büroarbeit wiederum weit überschätzen. Ein kaum zu ertragender Misanthrop.

So weit, so bekannt. Doch Kafkas Figur kommt dann doch so einiges in die Quere. Zunächst zwei Tischtennisbälle, die in seiner Wohnung auf- und abhüpfen, ohne dass er sie unter Kontrolle bekommt, später im Büro zwei Praktikanten, bei denen ihm das ebenso wenig gelingt. All die Szenen, in denen Blumfeld anderen Menschen oder Objekten begegnet oder über sie nachdenkt, wirken dank des außergewöhnlichen literarischen Humors des Autors ungeheuer komisch. Zwar ist die Erzählung fragmentarisch geblieben. Für uns, die Hörerinnen und Leser von heute, wirkt all das Beschriebene aber ohnehin endlos, so als würde es immer so weitergehen. Mit Blumfeld und den Praktikanten, mit Herrn Ottomar und dem Büro-Diener, mit der Bedienten zu Hause, den Tischtennisbällen und wahrscheinlich auch mit dem Besen … Immer so weiter.

Dieser in der Weltliteratur einzigartige Text wurde im Jahr 1915 verfasst und wird in unserer Podcast-Fassung von der famosen Schauspielerin, Sängerin und Sprecherin Christiane Hagedorn neu interpretiert. Sie sorgt dafür, dass wir Zuhörer das Ganze vor unserem inneren Auge wie ein Schauspiel erleben. Zweifellos ein Meisterwerk der modernen Aufführungskunst.

P.S. Eins noch: Bei einem Autor dieses Kalibers sollte niemand auf die Idee kommen, das Auf- und Abspringen zweier Tischtennisbälle nur als bizarre Erzählidee zu betrachten. Es ist sicher eine symbolische Bewegung, die diese beiden da aufführen – ein starkes Bild für den Wunsch nach Nähe und Distanz, nach Zuwendung und Entfernung eines Objekts. Jenen Wunsch also, von dem in Bezug auf Blumfeld ja bereits am Anfang der Erzählung im Zusammenhang mit einem Hund die Rede ist.

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ErzählkünstlerBy Volker Drüke