Ein Standpunkt von Sean Henschel.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich für eine, Zitat: „zügige Aufhebung aller Corona-Beschränkungen" ausgesprochen, soweit damit „nicht grundlegende Hygiene-und Arbeitsschutzregelungen gemeint sind." Ramelow möchte zunehmend auf die Eigenverantwortlichkeit der Bürger setzen. Diese Aussage brachte ihm von seinen politischen Mitstreitern sofort heftige Kritik ein.
Karl Lauterbach von der SPD forderte das Corona-Kabinett dazu auf, der Ankündigung aus Thüringen ein Gegensignal zu setzen und bewertete die Beendigung der Corona-Beschränkungen als „falsches und fatales" Signal. Karl Lauterbach ging sogar soweit zu behaupten, es entstünde der Eindruck, Zitat: „als ob Ramelow den Verschwörungstheoretikern und Aluhüten auf der Straße nachgeben will".
Lars Klingbeil, ebenfalls SPD-Politiker und SPD-Generalsekretär, warf Ramelow vor sich von Verschwörungstheoretikern leiten zu lassen.
Was bei der zahlreichen Kritik wieder einmal deutlich wird, ist ein fehlendes Verständnis für die Funktionsfähigkeit eines modernen Rechtsstaats. Indem die Kritiker eine Lockerung der Corona-Beschränkungen als eine wesentlich politische Entscheidung bewerten und Angst vor einem Wettlauf der Bundesländer haben, vernachlässigen sie weitestgehend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Teil des Rechtstaatsprinzips besagt, dass die Nachteile einer grundrechtseinschränkenden Maßnahme nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen, die die Maßnahme bewirkt, stehen darf. Hinzu kommt folgender Leitgedanke: je schwerwiegender eine Maßnahme in Grundrechte eingreift, desto höher sind die Anforderungen die Rechtfertigung. Die Grundrechte binden die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Die Verfassung hat Vorrang.
Die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme lässt sich in vier Punkte unterteilen. Die Maßnahme muss einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet und erforderlich, sowie angemessen sein.
Wenn einer dieser Punkte nicht mit einem Ja beantwortet werden kann oder umgekehrt mit einem Nein beantwortet werden muss, ist die Maßnahme rechtswidrig.
Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie das Erreichen des legitimen Zwecks bewirkt oder zumindest fördert. Der legitime Zweck ist schwer einzugrenzen und weit gefasst. In diesem Zusammenhang sei auch noch darauf hingewiesen, dass zwischen den Gewalten unterschieden werden muss. Während die Verwaltung (vollziehende Gewalt) und die Rechtsprechung (Judikative) bei der Frage des legitimen Zwecks an das Gesetz gebunden ist, kann hingegen der Gesetzgeber Zwecke verfolgen, die nicht ausdrücklich in der Verfassung normiert sind. Auch dem Gesetzgeber sind aber Grenzen gesetzt. Der verfolgte Zweck darf nicht im Widerspruch zur Verfassung stehen.
Zudem gibt es noch eine weitere Eingrenzung, nämlich wenn der verfolgte Zweck einen Eingriff in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte mit sich bringt. In diesem Fall muss der Zweck das Ziel haben, entgegenstehende Grundrechte Dritter oder Verfassungsgüter von Rang zu schützen. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG ist zum Beispiel ein vorbehaltloses Grundrecht. Wer die Verfassung aufschlägt, wird bei der Lektüre merken, dass kein Vorbehalt normiert ist.
Ein solches Grundrecht kann trotzdem eingeschränkt werden, wenn nämlich Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter betroffen sind.
Bei diesen Grundrechten heißt es also: vorbehaltlos ja, schrankenlos nein. Die Erforderlichkeit liegt vor, wenn kein anderes milderes Mittel zum Erreichen des Zwecks zur Verfügung steht. Bei der Angemessenheit geht es vereinfacht gesagt um die Abwägung zwischen den Nachteilen und Vorteilen der zu beurteilenden Maßnahme. Hier sei angemerkt, dass im Rahmen der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verordnungsgeber eine weite Einschätzungsprärogati...