Majestätsbeleidigung oder notwendige Prüfung?
Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
In der Corona-Ausschusssitzung Nr. 10 von August 2020 wird das Thema "Gefährlichkeit des Virus, Behandlung der Krankheit, Impfen als Ausweg?" (1) diskutiert. Dabei kamen zunächst Dr. Wolfgang Wodarg, dann Dr. Gerd Reuther zu Wort, der zuletzt erklärt hatte, welche Wirkung ein Cocktail von einem dutzend Arzneimitteln, gemeinsam mit einer Sedierung durch Opiate und Überdruckbeatmung mit einem über 80-jährigen Menschen, der nur noch die Hälfte der Nierenleistung eines 35-40-jährigen Menschen hat, anstellt.
Er führte dann weiter aus:
Nicht auf allen Intensivstationen würde berücksichtigt, dass Nierenfunktionen solche Unterschiede aufweisen, weil das auch im ambulanten Bereich kaum eine Rolle spielen würde. Eigentlich müsste man, wenn jemand mit 50 Jahren beginnt ein Medikament einzunehmen, alle 5 bis 10 Jahre die Dosierung reduzieren, weil die Nieren einfach langsamer arbeiten. Aber das würde leider nur in den wenigsten Fällen wirklich realisiert werden.
Dann, so erklärte Dr. Reuther weiter zur Behandlung von Covid-Patienten durch Überdruckbeatmung, wisse man von Narkosen, dass es zu Gehirnschädigungen kommen kann. 40% der Menschen über 75 Jahren, die operiert werden, haben ein so genanntes postoperatives kognitives Defizit, "das heißt, sie sind etwas 'durch den Wind' nach der Operation". Bei etwa der Hälfte würde es sich komplett zurückbilden, bei der anderen Hälfte aber nicht.
Das gleiche gelte natürlich auch, wenn man tagelang oder sogar über Wochen auf einer Intensivstation beatmet wird. Das führe dazu, dass Menschen nach dem Wachwerden eine so starke Demenz entwickeln, dass sie zu Pflegefällen werden. Aber niemand hätte sie vor der Beatmung gefragt, ob sie unter diesen Bedingungen die Überdruckbeatmung wünschen.
Nach Meinung von Dr. Reuther würde man nun das Ende der evidenzbasierten Medizin sehen, welches in den 1990er Jahren einmal gefördert worden war. Erstens könne man das dadurch erkennen, in Verbindung mit der Intensivbehandlung, dass man ohne Evidenz behandelte. Man hätte antivirale Medikamente, die dem Namen nach gegen Viren wirken, ohne dass es Wirksamkeitsnachweise dafür gegeben hätte, eingesetzt. Ebenso wie andere Medikamente, für die es keinen Evidenznachweis gegeben hätte.
Wenn man evidenzbasierte Medizin ernst nehme, dürfe man nur solche Verfahren einsetzen, bei denen belegt ist, dass der Nutzen größer als der mögliche Schaden ist.
Der zweite Beweis, dass es keine evidenzbasierte Medizin mehr gebe erkenne man an den Tests. "Ich lasse einen Test, der nichts besagt, der ein paar RNA-Schnipsel auf der Schleimhaut eines Menschen nachgewiesen hat, entscheiden, ob jemand gesund oder krank ist, ob jemand infektiös oder nicht infektiös ist. Das sagt der Test überhaupt nicht." Der Test wäre tatsächlich das Verbrechen, weil der Test nicht annähernd aussage, was er vorgibt.
Auf Nachfrage erklärte Dr. Reuther, dass es nicht grundsätzlich verkehrt wäre, Standards zu definieren. Das gäbe es zum Beispiel sinnvollerweise als Behandlungsleitlinien, als unverbindliche Richtlinien, auch wenn diese zu 80% nicht evidenzbasiert wären, was er bedauerte. Das gäbe dem Patienten immerhin einen gewissen Schutz gegenüber fragwürdigem Ärztewissen. Das Problem wäre, dass diese Behandlungsstandards zum großen Teil nur auf Konsens basierten, also auf der Meinung von Experten, die häufig aber befangen wären, und Interessenkonflikte mit der Pharmaindustrie hätten. Außerdem wären diese Leitlinien nicht sehr valide, und sie würden individuelle Situationen völlig außer Acht lassen. Dabei wäre die individuelle Situation um so wichtiger, je ungeklärter eine Therapiesituation ist.
Und wenn es bei Atemwegserkrankungen keine evidenzbasierte Therapie gebe, dann käme der subjektive Faktor hinzu, der etwas mit dem Menschen zu tun hat, den man aber dann auch kennen sollte.