Ein Standpunkt von Christian Kreiß.
Am 24.11. veröffentlichte das Wall Street Journal einen bemerkenswerten Artikel mit dem Titel: „Befragte sehen den amerikanischen Traum außer Reichweite rutschen.“[1] Der amerikanische Traum lautet: „Jeder, der hart arbeitet, kann vorankommen, unabhängig von der Herkunft.“[2] Das Wall Street Journal führte zusammen mit dem National Opinion Research Center (NORC at the University of Chicago) hierzu kürzlich eine Umfrage durch.
Traurige Einschätzungen
Das Ergebnis: nur 36% der Befragten sagen, dass der amerikanische Traum noch immer zutrifft. 2016 waren es noch 48% und 2012 gar 53% gewesen. Also nur mehr gut ein Drittel der US-Amerikaner glauben heute, dass man durch harte Arbeit unabhängig von seiner Herkunft aufsteigen kann.
Das Leben war vor 50 Jahren besser als heute
Die Hälfte der in den USA lebenden Menschen meint demnach außerdem, dass das Leben in den USA heute schlechter ist als vor 50 Jahren, während nur 30% glauben, es sei besser als vor 50 Jahren. Auf die Frage: „Ist das polit-ökonomische System gegen Leute wie mich gerichtet“ antwortete die Hälfte mit ja, 39% mit nein. Von den Schwarzen beantworteten die Frage 68% mit ja. Also die Hälfte der Menschen glaubt, dass das System gegen sie arbeitet, von den Schwarzen gar mehr als zwei Drittel.
Frauen und jüngere Menschen besonders pessimistisch
Besonders schlimm schätzen Frauen die Lage ein. Von ihnen glauben nur noch 28% an den amerikanischen Traum, während es bei den Männern 46% sind. Auch die jüngeren Menschen sind besonders pessimistisch: Von den Amerikanern unter 50 halten nur noch 28% den amerikanischen Traum für wahr.
Unsere Kinder werden es schlechter haben als wir
Dazu kommt: Nach einer Umfrage von NBC, die das Wall Street Journal zitiert, gehen derzeit nur noch 19% der Amerikaner davon aus, dass das Leben ihrer Kinder besser sein wird als ihr eigenes – ein Rekordtief seit Erhebungsbeginn 1990. Über vier Fünftel aller Amerikaner, über 80% erwarten, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird.
Fassen wir zusammen: Nur noch gut ein Drittel der US-Amerikaner glauben derzeit, dass man durch harte Arbeit unabhängig von seiner Herkunft aufsteigen kann, etwa die Hälfte geht davon aus, dass das System gegen sie arbeitet und nur mehr 19% erwarten, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden als sie. Das sind ernüchternde Ergebnisse.
Die offiziellen Zahlen zu BIP und Wirtschaftskraft
Diese Ergebnisse widersprechen diametral den offiziellen Statistiken. Nach den offiziellen Zahlen ist der wirtschaftliche Wohlstand in den USA in den letzten 50 Jahren fast ununterbrochen gestiegen. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich seit 1970 weit mehr als verdoppelt[3], das kaufkraftbereinigte reale BIP pro Kopf (Purchasing Power Parity Converted GDP per Capita) hat sich ziemlich genau verdoppelt.[4]
Wie kann es sein, dass nach den offiziellen Zahlen der reale ökonomische Wohlstand pro Kopf in den USA seit Jahrzehnten fast ununterbrochen steigt und gleichzeitig die Hälfte der Menschen davon ausgeht, dass es ihnen heute schlechter geht als vor 50 Jahren? Glaubt man den offiziellen Statistiken, so hat sich der amerikanische Traum in den letzten 50 Jahren praktisch unaufhörlich realisiert. Wie kann es sein, dass nur noch 36% der Bürgerinnen und Bürger der USA an den amerikanischen Traum glauben?
Wir messen das Falsche
Der Grund ist recht einfach: Die offiziellen Zahlen zur Wirtschaftskraft, die offiziellen Angaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), die ständig in den Medien berichtet werden und von denen automatisch unterstellt wird, sie würden unseren Wohlstand wiedergeben, messen das Falsche. Jedenfalls messen sie nicht unseren Wohlstand. Sie messen nur die aufgewendeten und verbrauchten Re...