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Das Leben, der Tod und der Wunsch nach Unendlichkeit – Teil 2 | Von Dr. phil. Werner Köhne


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Zum Vorverständnis des Coronaszenarios
Ein Standpunkt von Dr. phil. Werner Köhne.
TEIL 2
Grüße aus dem Soziotop. Oder: Was verbindet Linguistik, Ethik, heutige Milieus und plötzlich aufgewühlte Gefühle miteinander? Ein Fragment.
Die geistige Situation der Zeit – so lautete der Titel eines Buches, das 1932, der Philosoph Karl Jaspers in Vorahnung der Machtergreifung durch die Nazis veröffentlichte. 50 Jahre später griff Jürgen Habermas diesen Titel auf und nutzte ihn für eine Bestandsaufnahme. Es wurde das Zeugnis einer verunsicherten Linken. Was sollte werden?, stand eine zentrale Frage im Raum. Wie sollte das Projekt Fortschritt, Emanzipation und Aufklärung weiter verfolgt werden? Wo galt es den Blick zu schärfen?
Habermas Antwort wirkt von heute aus betrachtet zutiefst zeitgemäß und gleichzeitig peinlich. Er veröffentlichte ein zweibändiges Werk mit dem Titel »Theorie des kommunikativen Handelns« – durchaus in der Absicht, dem überall sich durchsetzenden Paradigma der damaligen Epoche, nämlich der Kommunikation, seinen Tribut zu zollen. Kernstück wurde bei ihm das Konzept einer »idealen Sprechsituation«. In ihr sollte eine Diskursethik eingeübt werden mit regulativen Ideen wie etwa Wahrheit und moralische Richtigkeit. Man könnte diese Fixierung auf Ideen und Moral als Ersatz für das alte menschliche Streben nach Unendlichkeit ansehen – sowie es ja schon der Urvater der abendländischen Philosophie, nämlich Platon, der westlichen Wertegemeinschaft mit auf den Weg gegeben hatte und die in der Linguistik Habermas’ endet.
Letztlich aber schrumpfte – wie sich schon bald zeigte – diese linguistisch sich abstützende Ethik des weltbekannten Philosophen auf ein Modell, das von Anfang an an seiner hohen Abstraktheit litt und den praktischen Situationen des Lebens nicht gerecht wurde. Gleichwohl aber zog diese Denkschule geradezu siegestrunken in die universitären Seminare ein – verbunden mit der Hoffnung, dass damit der letzte Stolperstein hin zur gelungenen Aufklärung aus dem Weg geräumt wurde. Flankiert von weiteren Humanwissenschaften bildete sich so ein geistiges Klima aus, in dem Ethik alles und nichts bedeutete. Wer die Siebziger Jahre noch aktiv miterlebt hat, wird an eine linke Szene erinnert, in welcher der promovierte Taxifahrer sich mit dem Studienrat und dem Erben aus Tübingen in der Südstadtkneipe traf, man dieselbe Musik hörten – bei total unterschiedlichen Einkommen. Es schien der Beginn einer großen mentalitätsgeschichtlichen Lüge, die ihre Impulse ausgerechnet aus Habermas Modell einer herrschaftsfreien Kommunikation bezog – einer sehr eng geführten Aufklärung.
Zur Ethisierung aller Verhältnisse
Überhaupt, was Ethik betrifft: Anfang der 1980er Jahre forderte selbst ein Pragmatiker wie Kanzler Kohl eine geistig moralische Wende; der Philosoph Hans Jonas hingegen schwor die Gesellschaft auf eine Verantwortungsethik ein. Hunderte Bücher erschienen damals in diesem Max Weber’schen Geiste, die in ihren Titeln das Wort Ethik führten. Unternehmen setzen auf moralisches Commitment in Personalführung und Marktverhalten. Da mochte es auch kein Zufall sein, dass die paradigmatische Wissenschaft der Siebziger Jahre, die kritische Soziologie in ihrer Fixierung auf gesellschaftliche Prozesse abdanken musste: Das moralisch autonome Subjekt beheimatet im Individuum, betrat die Bühne der Zeit. Es blieb ein merkwürdiges Subjekt.
Die so entstandene Gemengelage ist nie wirklich analysiert und reflektiert worden. Aber es knirschte schon bald im Gebälk der Mentalitäten – vor allem da, wo abstrakte Moral und Gefühle in einen Wettstreit gerieten.
Von Enzensberger like zu  Enzensberger dislike  
Zu welchen grotesken Entwicklungen das führte, lässt sich an einem der wenigen renommierten deutschen Intellektuellen ablesen: Hans Magnus Enzensberger. Der Altachtundsechziger Enzensberger vollzog schon in den späten Siebzigern einen Schwenk in jenes blässliche saloppe Mil...
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