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Heute bringen wir eine Erzählung zu Gehör, die nicht nur den Autor selbst davon überzeugte, ab nun ein Schriftsteller zu sein, sondern darüber hinaus „die Gestalt der Weltliteratur“ und den „neuzeitlichen Begriff von Literatur überhaupt“ veränderte (so Peter von Matt, der berühmte Literaturwissenschaftler). Es ist ohne jeden Zweifel einer der bedeutendsten Texte des 20. Jahrhunderts: „Das Urteil“.
Zu Beginn ist Georg Bendemann allein. Er reflektiert in offenbar ruhiger Verfassung seine Beziehung zu einem guten Freund, dem er soeben einen Brief geschrieben hat. Und er zeigt sich rücksichtsvoll, verschweigt beispielsweise dem wenig erfolgreichen Freund, wie gut sein eigenes Geschäft läuft, seit er es „mit größerer Entschlossenheit“ führt und der Einfluss des Vaters auf das Unternehmen schwindet. Darauf folgt ein Zusammentreffen mit eben jenem Vater, und was wir hier lesen und hören, hat es in sich. Es gleicht einer extremen Theaterszene. Sprache, Verhalten, Gestik, Mimik – nichts, was von den Streitenden stammt, passt zu dem jeweils anderen. Und die Kommentare in Bezug auf den Vater („wenn er jetzt fiele und zerschmetterte!“) – eigentlich aus Georgs Empfinden stammend – wirken feindlich, ironisch, sarkastisch, überlegen, zynisch. Es wirkt erschreckend und zugleich leicht berauschend, dieser Szene zu folgen.
Im Hinblick auf die Deutung der Geschichte stellen sich einige Fragen: Ist es wahrscheinlich, dass ein junger Mann, der seinen Vater sehr stark ablehnt, ihn verhöhnt und „Komödiant“ nennt, dessen Urteil folgt und Selbstmord begeht? Geht das erzähllogisch auf, ist es psychologisch nachvollziehbar? Steht das, was viele Germanisten seit Jahrzehnten verbreiten, überhaupt im Text? Nein. Nichts davon. Kein Sprung ins Wasser, keine Sterbeszene. Rettet sich Georg also? Steigt er an den schon zu Beginn erwähnten grünen Anhöhen aus dem Fluss auf? Dies gliche einer Wiedergeburt aus dem Fluss heraus, dem Grenzstrom zwischen Leben und Tod seit mythischen Zeiten, in ein neues Leben hinein – mit Frieda, seiner Geliebten, die der Vater natürlich auch ablehnt, beleidigte und diskriminierte. Auch von Georgs Selbstrettung steht im Text kein Wort. Doch es ist möglich. Und sowohl erzähl- als auch psychologisch sinnvoll. Vielleicht fiel er auch gar nicht ins Wasser, sondern auf den Boden der Brücke. Auch das bleibt offen. Das Ende dieses einmaligen Textes bleibt ambivalent.
Franz Kafka schrieb „Das Urteil“ in einer Septembernacht des Jahres 1912 und wird empathisch und mit stark vernehmbarer schauspielerischer Energie vorgetragen von Stefan Nászay.
Heute bringen wir eine Erzählung zu Gehör, die nicht nur den Autor selbst davon überzeugte, ab nun ein Schriftsteller zu sein, sondern darüber hinaus „die Gestalt der Weltliteratur“ und den „neuzeitlichen Begriff von Literatur überhaupt“ veränderte (so Peter von Matt, der berühmte Literaturwissenschaftler). Es ist ohne jeden Zweifel einer der bedeutendsten Texte des 20. Jahrhunderts: „Das Urteil“.
Zu Beginn ist Georg Bendemann allein. Er reflektiert in offenbar ruhiger Verfassung seine Beziehung zu einem guten Freund, dem er soeben einen Brief geschrieben hat. Und er zeigt sich rücksichtsvoll, verschweigt beispielsweise dem wenig erfolgreichen Freund, wie gut sein eigenes Geschäft läuft, seit er es „mit größerer Entschlossenheit“ führt und der Einfluss des Vaters auf das Unternehmen schwindet. Darauf folgt ein Zusammentreffen mit eben jenem Vater, und was wir hier lesen und hören, hat es in sich. Es gleicht einer extremen Theaterszene. Sprache, Verhalten, Gestik, Mimik – nichts, was von den Streitenden stammt, passt zu dem jeweils anderen. Und die Kommentare in Bezug auf den Vater („wenn er jetzt fiele und zerschmetterte!“) – eigentlich aus Georgs Empfinden stammend – wirken feindlich, ironisch, sarkastisch, überlegen, zynisch. Es wirkt erschreckend und zugleich leicht berauschend, dieser Szene zu folgen.
Im Hinblick auf die Deutung der Geschichte stellen sich einige Fragen: Ist es wahrscheinlich, dass ein junger Mann, der seinen Vater sehr stark ablehnt, ihn verhöhnt und „Komödiant“ nennt, dessen Urteil folgt und Selbstmord begeht? Geht das erzähllogisch auf, ist es psychologisch nachvollziehbar? Steht das, was viele Germanisten seit Jahrzehnten verbreiten, überhaupt im Text? Nein. Nichts davon. Kein Sprung ins Wasser, keine Sterbeszene. Rettet sich Georg also? Steigt er an den schon zu Beginn erwähnten grünen Anhöhen aus dem Fluss auf? Dies gliche einer Wiedergeburt aus dem Fluss heraus, dem Grenzstrom zwischen Leben und Tod seit mythischen Zeiten, in ein neues Leben hinein – mit Frieda, seiner Geliebten, die der Vater natürlich auch ablehnt, beleidigte und diskriminierte. Auch von Georgs Selbstrettung steht im Text kein Wort. Doch es ist möglich. Und sowohl erzähl- als auch psychologisch sinnvoll. Vielleicht fiel er auch gar nicht ins Wasser, sondern auf den Boden der Brücke. Auch das bleibt offen. Das Ende dieses einmaligen Textes bleibt ambivalent.
Franz Kafka schrieb „Das Urteil“ in einer Septembernacht des Jahres 1912 und wird empathisch und mit stark vernehmbarer schauspielerischer Energie vorgetragen von Stefan Nászay.