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Das “Wunder von Charkiw”: Wendepunkt im Krieg? | Von Wolfgang Effenberger


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Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Ohne Zweifel, mit den Geländegewinnen der Ukraine im Südosten bei Cherson und im Nordosten um Charkiw hätte vor einem Monat noch niemand gerechnet. Die Großoffensive hatte Präsident Selenskyi bereits vor Wochen angekündigt und für September die Wende im Krieg vorhergesagt. Westliche Medien feiern den ukrainischen Blitzkrieg und sehen die russischen Truppen auf der Flucht sowie russische Elitepanzerverbände stark dezimiert. Selenskyis Trick habe gewirkt: Zur Abwehr der ukrainischen Offensive im Raum Cherson habe Putin die Truppen bei Charkiw zur Umgruppierung ausgedünnt: Frei nach dem chinesischen Strategem „Im Osten lärmen, im Westen angreifen“ (General Tan Daoji († 436) zugeschrieben)1) . Durch einen Scheinangriff soll der Feind dazu gebracht werden, dort seine Truppen zu verstärken und an der Stelle die Ressourcen abzuziehen, wo dann tatsächlich der Angriff stattfindet. Es ist davon auszugehen, dass Putin alle 36 Strategeme von Daoji bekannt sind. Auch hätte der Luft- und Satellitenaufklärung die Annäherung von mehreren gepanzerten ukrainischen Brigaden nicht entgehen dürfen.
Angesichts der unaufhörlichen Propagandaorchestrierung – und zwar auf beiden Seiten – ist es unmöglich, eine saubere militärische Lageanalyse zu machen. Sicher scheint nur zu sein, dass es ein langer Krieg auf Kosten der Bevölkerung werden wird. In den nun über 200 Kriegstagen wurde die Ukraine immer stärker militarisiert bei gleichzeitig steigender russophober Hysterie. Im Gefolge der vorrückenden ukrainischen Truppen nimmt der gefürchtete ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU (Sluschba bespeky Ukrajiny) – Nachfolgeorganisation des KGB der Ukrainischen Sowjetrepublik – seine blutige Arbeit auf: Folter, Verstümmelungen und Massentötungen gehören zur Standardprozedur des SBU.2) Es ist davon auszugehen, dass alle, die mit den Russen kollaboriert haben, im besten Fall vor Gericht gestellt, im schlimmsten Fall einfach als Verräter erschossen werden. Welcher Ukrainer wird unter diesen Bedingungen in Zukunft der russischen Armee noch offen helfen wollen? Die russlandfreundliche Bevölkerung in diesen nun wieder ukrainischen Gebieten nicht geschützt zu haben, wird für das weitere russische Vorgehen eine schwere Hypothek bilden.
Das menschliche Leid war für die für BILD am SONNTAG vom 11. September 2022 nicht einmal ein Randthema, dafür wurde auf Sieg gesetzt:  „Die ukrainische Armee hat in einer schier unglaublichen Machtdemonstration bewiesen: Sie können diesen Krieg gewinnen!“3) Damit dieser Krieg von der Ukraine gewonnen werden kann, gibt BILD der deutschen Regierung die entsprechenden Ratschläge:


Sie „sollte ihre Fehler bei der zögerlichen Waffenlieferung eingestehen und der Ukraine geben, was sie für eine erfolgreiche Gegenoffensive jetzt noch braucht: Panzer, Artillerie, Munition. Und zwar schnell!“

Unter Verweis auf die einen Tag zuvor in Kiew angereiste deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wurde ihre im Frühsommer getätigte Aussage: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen“ mit der Forderung zitiert:


„Dann muss sie jetzt auch endlich alles dafür tun“.

Bevor derartige Forderungen aufgestellt werden, sollte ein schonungsloser Blick auf die rechtliche Verfasstheit der Bundesrepublik geworfen werden. Da Deutschland immer noch keinen echten Friedensvertrag hat, könnte Putin die BRD wegen der Lieferung schwerer Waffen in einem Kriegskonflikt als Angreifer deklarieren, der den alten Krieg von 1945 fortsetzt. Sollte die NATO dann Deutschland zu Hilfe eilen, wäre ein umfassender Nuklearkrieg wohl nicht mehr zu vermeiden.
In Sandra Maischbergers Talkshow standen am 13. September 2022 die enormen Geländegewinne der ukrainischen Streitkräfte im Mittelpunkt. Die Gäste Andrij Melnyk, ehemalige Botschafter der Ukraine in Berlin, Carlo Masala, Professor an der Bundeswehruniversität München, und Stephan Stuchlik,
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