„Der Verzicht auf jede Konfrontation mit dem Kapital hat sich für die SPD verheerend ausgewirkt“, so Olaf Scholz in einem politischen Strategiepapier aus den 1980er Jahren. Der Staat, so Scholz damals, sei ein „Instrument des Kapitals zur Durchsetzung seiner Interessen“. Hinter solchen markigen Parolen steckte eine gründliche gesellschaftliche Analyse des Politikers, die heute aktueller denn je erscheint und eine neue Lektüre verdient. Multipolar präsentiert Auszüge – und schaut zurück auf Scholz´ Karriere und deren selten beleuchtete Wendepunkte.
Ein Standpunkt von Paul Schreyer.
Dass Olaf Scholz sich in seiner Jugend antikapitalistisch äußerte ist bekannt und wird gelegentlich in den Medien erwähnt. Meist bleibt es bei einzelnen kurzen Zitaten, auf deren Kontext nicht weiter eingegangen wird und die Scholz als „Irrtümer, die ich hinter mir habe“, kommentierte (1). Gegenüber der FAZ erklärte er einmal (2): „Damals war das meine Überzeugung. Die war falsch. Heute habe ich durchdachtere Positionen.“ Was aber führte zu Scholz´ Gesinnungswandel?
Der 1958 geborene SPD-Politiker hatte schon vier Jahre Jura studiert, als er 1982 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Jusos, der Jugendorganisation der SPD, gewählt wurde: ein Linker, der das System, das er kritisierte, ernst nahm und verstehen wollte. Während seiner Zeit im Juso-Vorstand, die bis 1988 dauerte, verfasste er zahlreiche Texte in der Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft, einer Publikation, die erklärte (3), dass sie „die Zersplitterung der Linkskräfte überwinden“ wollte und „Strategien innerhalb und außerhalb der SPD“ diskutierte um „mitzuhelfen, die linkssozialistische gesellschaftliche Analysekraft und Politikfähigkeit auf der Höhe der Zeit zu halten.“
In einem seiner ersten Texte, verfasst gemeinsam mit den Co-Autoren Jürgen Wasem und Klaus-Peter Wolf erläuterte (4) Scholz im September 1982, unmittelbar vor dem Sturz der Regierung von Helmut Schmidt:
„Die politische Lage in der Bundesrepublik ist zur Zeit geprägt von einer ungeheuren Labilität. In diesem innenpolitischen wie außenpolitischen 'Schwebezustand' stehen auf mittlere Sicht zwei grundsätzliche Lösungsmodelle alternativ gegenüber: Zum einen eine Wende nach rechts, mit einer CDU/CSU-Regierung, die mit einschneidenden Auswirkungen auf politischer, ökonomischer und ideologischer Ebene verbunden wäre. Dies würde in letzter Konsequenz eine völlige Unterordnung unter die offensive Globalstrategie des US-Imperialismus bedeuten. Zum anderen kann ein Weg eingeschlagen werden, der eine Wende nach links beinhaltet – und sei diese Wende auch noch so klein. (…) Jungsozialisten müssen in der Diskussion mit anderen Teilen der Friedensbewegung deutlich machen, daß Aufrüstung und Kriegsgefahr notwendige Begleiterscheinungen des Imperialismus sind und daß deshalb eine dauerhafte Friedenssicherung nur möglich ist, wenn das kapitalistische Gesellschaftssystem vom Sozialismus abgelöst wird.“
In einem weiteren Text (5) aus dem gleichen Monat, verfasst gemeinsam mit Günter Beling und Hannes Schulze, geht Scholz auf die Rolle der Grünen ein:
„Marxistische Sozialdemokraten erkennen, daß Umweltzerstörung, Kriegsgefahr, Abbau demokratischer Rechte, Arbeitslosigkeit und alle anderen Krisenerscheinungen untrennbar mit der Existenz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verbunden sind. Eine wirksame Beseitigung aller dieser Gefahren setzt daher die Beseitigung des Kapitalismus voraus. Dies kann nur gelingen durch eine Vergesellschaftung der entscheidenden Produktionsmittel und die Beseitigung der darauf gegründeten Macht der Monopolbourgeoisie. (…)
Weil die Grünen und Alternativen Listen und Parteien nicht die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise in den Mittelpunkt ihrer strategischen Überlegungen stellen, ist ihnen auch verborgen geblieben,