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Der erlösende erste Schuss | Von Christian Kreiß


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Der Ukraine-Krieg in historischer Perspektive aus Sicht der USA.

Ein Kommentar von Christian Kreiß.
Fragestellung
Im September 1939 hatten die USA 10 Jahre Depression und Massenarbeitslosigkeit hinter sich. Die Wirtschaft war 10 Jahre lang, seit dem Börsencrash im Oktober 1929, einfach nicht wieder auf die Beine gekommen, trotz jahrelanger riesiger Staatsdefizite und dramatisch steigender Staatsschulden. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939, der erste Schuss der Wehrmacht, war rein wirtschaftlich gesehen der Beginn der Erlösung der US-Ökonomie aus der nicht enden wollenden Depression. Ab September 1939 sprangen endlich die Exporte wieder an, die Rüstungsindustrie lief hoch und die Arbeitslosigkeit begann zu sinken. Der Grund für die längste Depression der USA lag in den hohen Überkapazitäten, die sich bis 1929 aufgebaut hatten. Der Abbau der Überkapazitäten stürzte die USA 10 Jahre lang in eine Depression.
Ähnlich wie 1929 stehen die US-Wirtschaft und das US-Finanzsystem im Januar 2022 vor sehr großen Überkapazitäten und einem untragbar hohen Geld- und Schuldenberg. Es drohen entweder eine jahrelange hohe Inflation oder ein Absturz der Finanzmärkte mit möglicherweise anschließender jahrelanger Depression ähnlich wie ab 1929. Eine Wiederholung der schlimmen Wirtschaftskrise der USA wie in den 1930er Jahren dürfte durch den ersten Schuss der russischen Armee in der Ukraine abgewendet worden sein. Rein ökonomisch gesehen könnte das, ähnlich wie 1939, ein erlösender erster Schuss gewesen sein, der schlimme ökonomische Szenarien für die USA abwenden könnte. Aus dieser Perspektive ergeben sich besorgniserregende Prognosen für den weiteren Kriegsverlauf.
Die ökonomische Situation der USA 1929
In den „roaring twenties“ hatten die USA ein ungewöhnlich starkes Wirtschaftswachstum.1 Die Produktionskapazitäten, beispielsweise in der damaligen Schlüsselindustrie Automobilbau, wurden enorm ausgebaut.2 Zwischen 1919 und 1929 stieg die Stundenproduktivität in der US-Industrie um etwa 43%. Löhne, Gehälter und Preise blieben jedoch vergleichsweise stabil. So fielen die Kosten und die Gewinne der Unternehmen stiegen. Diese hohen Gewinne mussten reinvestiert werden. In den zwanziger Jahren erhöhte sich die Produktion von Kapitalgütern um durchschnittlich 6,4% jährlich, diejenige der Massenkonsumgüter dagegen nur um 2,8%. Das Zurückbleiben der Masseneinkommen damals führte bereits während der zwanziger Jahre zu einer tendenziellen Unterkonsumtion bzw. Überkapazitäten3, bzw. einem strukturellen Überangebot.4 Diese Überkapazitäten, mit denen die Massenachfrage nicht Schritt gehalten hatte, mussten während der Großen Depression und danach bereinigt werden. 1945 gab es wegen der Zerstörungen in Europa und Ostasien kein Überkapazitäten-Problem mehr und die Entwicklung konnte gewissermaßen wieder bei Null anfangen für die nächsten zwei bis drei Generationen. Der Hauptgrund für die schlimme wirtschaftliche Entwicklung in den 1930er Jahren lag in der stark zunehmenden Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in den 1920er Jahren.5
Die große Depression ab 1929
Die US-Überkapazitäten von 1929 führten zu der großen Depression ab 1929. Ausgelöst durch den Börsencrash von Oktober 1929 schrumpfte die US-Wirtschaft dramatisch. Die Arbeitslosenquote schoss von Nahe Null im August 1929 auf 25,6 Prozent im Mai 1933.6 Bis Kriegsbeginn im September 1939 sank sie nie unter 10 Prozent und stand im letzten Friedensmonat August 1939 bei 15,8 Prozent.7 Kurz: Bis August 1939 konnten sich die USA nicht wirklich von der Depression erholen. Und das, obwohl die US-Regierung durch enormes Deficit-Spending8 riesige Staatsdefizite aufbaute: Die US-Staatsschulden stiegen von 16 Prozent des BIP 1929 auf 51 Prozent 1939.9
Der Beginn des Zweiten Weltkrieges
Die ersten Schüsse des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 waren daher eine Art Erlösung aus der Depressionsstarre der USA.
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