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Der kranke Mann am Bosporus | Von Christian Kreiß


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Die Türkei als Auslöser der nächsten Finanz- und Wirtschaftskrise?
Ein Standpunkt von Christian Kreiß.
Fragestellung
Weltweit hohe Inflation, steigende Zinsen und sinkende Börsen verheißen nichts Gutes für die Weltwirtschaft. Die Immobilienmärkte sind überhitzt, die Börsen nervös, die Kryptomärkte abgestürzt, die Preise für Energie und Lebensmittel sind dramatisch gestiegen. Die globalen Schulden sind heute so hoch wie noch nie und sowohl absolut wie im Verhältnis zur Wirtschaftskraft deutlich höher als bei Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise 2008. Steht uns eine Marktbereinigung bevor, kommt eine Finanz- und Wirtschaftskrise auf uns zu, eine Finanzkrise 2.0?
Der Auslöser dafür könnte die Türkei sein.
Hohe türkische Schulden in Fremdwährung
Die Türkei hatte Ende März 2022 laut Global Debt Monitor Schulden in Höhe von insgesamt etwa 166 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt.1 Im März 2020 waren es noch 144 Prozent gewesen.2 Bei einem BIP von ungefähr 796 Milliarden US-Dollar 20213 hat die Türkei also momentan Schulden in Höhe von etwa 1.320 Milliarden Dollar.


Nach Berechnungen des Institute of International Finance beliefen sich die Schulden der Türkei in ausländischer Währung Ende März 2022 auf 96,7 Prozent vom BIP. Ende März 2021 waren es noch 87,2 Prozent gewesen.4 Demnach hätte die Türkei momentan Fremdwährungsverbindlichkeiten in Höhe von etwa 770 Milliarden Dollar. Das heißt, wenn die Lira sich abschwächt, wird das Bedienen der Fremdwährungsschulden immer schwieriger.

Der Absturz der türkischen Lira
Am 20.Mai 2022 betrug der Wechselkurs der türkischen Lira zum US-Dollar rund 15,9 Lira pro Dollar.5 Vor einem Jahr, am 20.5.2021 lag der Kurs bei etwa 8,4 Lira. Man muss heute also etwa 90 Prozent mehr Lira für einen Dollar bezahlen als vor einem Jahr. Der Wert der Lira hat sich also binnen Jahresfrist beinahe halbiert. Vor fünf Jahren, im Mai 2017 stand die Lira bei rund 3,6. Heute bekommt man also beinahe viereinhalb Mal so viele Lira pro Dollar wie vor fünf Jahren. Anders ausgedrückt: Die Lira hat in den letzten fünf Jahren über drei Viertel ihres Wertes verloren. Für türkische Schuldner, die sich in Dollar verschuldet haben, bedeutet das, dass sie durch den Lira-Absturz heute sehr viel mehr Lira aufbringen müssen, um ihre Schulden zu bedienen. In Lira gerechnet haben sich die Schulden also dramatisch erhöht. Das könnte einige türkische Kreditnehmer in Schwierigkeiten bringen.
Im Januar 2022 schloss die Türkei zur Stabilisierung der Lira Währungsabkommen mit Abu Dhabi und Katar über insgesamt 15 Milliarden Dollar ab.6 Diese Abkommen dürften letztlich darauf hinauslaufen, dass die Türkei bis zu 15 Milliarden Dollar Kredite bei diesen beiden Staaten zusätzlich aufnehmen und diese Dollar dann in türkische Lira tauschen kann, sodass sich die türkische Währung aufwertet bzw. stabilisiert. Die beabsichtige Stabilisierung der Lira hat erstaunlich gut funktioniert. Nach den Währungsturbulenzen im November und Dezember 2021 bewegte sich die türkische Währung ab Januar 2022 in bemerkenswert ruhigem Fahrwasser. Durch die rasant steigende Inflationsrate von zuletzt 70 Prozent im April 20227 hat die Lira seit März ihren Abwertungstrend allerdings wieder aufgenommen, aber deutlich weniger turbulent als vor den Währungsabkommen. Das Problem: Irgendwann dürften auch diese geliehenen Währungsreserven aufgebraucht sein. Dann dürfte die Lira ihren Sinkflug beschleunigen.


Ein beträchtlicher Teil der türkischen Fremdwährungsschulden muss innerhalb der nächsten 12 Monate zurückgezahlt werden.

Nach Angaben der türkischen Zentralbank beliefen sich die kurzfristigen Auslandsschulen, also solche, die innerhalb eines Jahres zurückgezahlt werden müssen, Ende Februar 2022 auf 130 Milliarden Dollar. 8 Vor den Lockdowns, Ende 2019, waren es noch 97 Milliarden Dollar gewesen, ein beachtlicher Zuwachs um über 30 Prozent in gu...
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