Die drohende Dystopie ist nicht von außen über uns hereingebrochen — wir haben sie durch unser mechanistisches Denken selbst erschaffen.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Ein Standpunkt von Thomas Damberger.
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine nimmt rapide zu. Über uns entfaltet sich in diesen Tagen der von Elon Musk neu bestirnte Himmel, und in uns arbeitet zunehmend eine Technologie, die uns einer alles umspannenden Maschine ins Netz gehen lässt. Der Körper avanciert zum Datenproduzenten, zum Rohstofflieferanten. Und der ständig produzierte und abgegriffene Datenrohstoff wird von sehr großen und sehr einflussreichen Konzernen weiterverarbeitet und zu Geld gemacht. Der folgende Beitrag zeigt auf, warum unser Denken eine sich zunehmend realisierende Dystopie erzeugt.
Die Maschine steht still
Vor mehr als 100 Jahren, um genau zu sein im Jahre 1909, veröffentlichte der britische Autor Edward Morgan Forster eine Erzählung mit dem Titel The Machine Stops. Forster beschreibt darin eine dystopische Zukunftsvision, in der ein Leben auf der Erdoberfläche nicht mehr möglich ist. Die Welt liegt in Schutt und Asche, Bäume existieren nicht mehr, und die Luft besteht aus giftigen Gasen. Die Menschen leben in Forsters Erzählung nicht mehr auf der Erde, sondern in unterirdischen Zimmern. Eine Maschine teilt jedem Menschen, sobald er das Erwachsenenalter erreicht hat, ein solches Zimmer zu. Dort verbringt er den Rest seines Lebens, fast gänzlich von allen anderen isoliert, aber dennoch nicht ganz allein.
Die Menschen nämlich stehen durch die Maschine miteinander im ständigen Kontakt. Dabei erweist sich die Maschine nicht nur als Kommunikationsmedium, sondern sorgt darüber hinaus auch für Nahrung, ausreichend frische Luft, für Musik, Bett und Badewanne. Und mehr noch: Wer sich mit wem fortpflanzen darf, wird von der Maschine entschieden — wobei offen bleibt, ob sich der Fortpflanzungsakt als ein natürlicher oder ein technischer Vorgang darstellt. Welches Kind sich letztlich als hinreichend geeignet erweist, um Leben bleiben zu dürfen, bleibt gleichsam der Maschine überlassen. Und nur die geeigneten Kinder dürfen — fernab von Mutter und Vater — in Erziehungsanstalten aufwachsen, um anschließend einem frei gewordenen Zimmer zugeteilt zu werden.
Am Ende des Lebens bleibt den Menschen die Möglichkeit, einen Antrag auf „den guten Tod“ zu stellen, der von der Maschine genehmigt oder abgelehnt werden kann.
Direkte, unmittelbare Erfahrungen spielen in Forsters Dystopie kaum eine Rolle. Man versucht, Derartiges zu vermeiden, und ist es trotz allem einmal nötig, schauen sich die Menschen nicht in die Augen und bemühen sich, dass es möglichst zu keinen körperlichen Berührungen kommt. Überhaupt werden die durch Bewegungsmangel beeinträchtigen und im künstlichen Licht herangezüchteten Leiber mit fortgeschrittenem Alter als haarlose, zahnlose, in Tüchern gewickelte Fleischberge bezeichnet.
Es herrscht sehr wohl ein Bewusstsein darüber, dass die alles steuernde und kontrollierende Maschine einst von Menschen erbaut wurde. Aber weder ihre Funktionsweise noch der Umfang ihrer Macht wird begriffen. Gottähnlich spreizt sie sich auf, durchdringt alles, bis sich nach und nach immer mehr Fehler im System auftun. Zunächst ungläubig, später dann hilflos und ohnmächtig schauen die Menschen zu, wie ihre einst durchorganisierte und dabei doch unverstandene Welt in kürzester Zeit zusammenbricht. Am Ende steht die Maschine und damit das Leben der Menschen...