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Der „Russe“ kommt! | Von Hans-Jürgen Mülln


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Es ist erneut Krieg in Europa. Und die Deutschen? Es scheint ihnen wieder in den Fingern zu jucken.
Ein Standpunkt von Hans-Jürgen Mülln.
Jetzt ist es passiert! Seit Jahrzehnten erwartet oder befürchtet, steht seit Ende Februar dieses Jahres für die Deutschen fest: „Der Russe“ kommt! Schon wieder, machen Politiker aller Parteien und die totalitäre Propagandamaschine des westlichen Imperialismus Glauben. Letztere hat aufgrund der militärischen Notwehrintervention Russlands in die Ukraine auch in Deutschland eine noch nie dagewesene antirussische Pogromstimmung entfacht und heizt sie weiter an. Insbesondere in Deutschland kommen tiefsitzende Ressentiments gegen „den Russen“ wieder hoch. Eine sehr persönliche Betrachtung.
Nach 1914, 1941 werden wir schon wieder, 2022, von den aggressiven Russen in Angst und Schrecken versetzt. Sie drohen wieder über uns herzufallen, unsere arischen Frauen erneut millionenfach zu schänden und uns unserer Uhren zu berauben: „Uri, Uri!“ Das könnte man meinen, wenn man in diesen Tagen die Kriegspropaganda des imperialistischen Westens, insbesondere Deutschlands, verfolgt. Dementsprechend sind die Reaktionen der seit Corona verblendeten Massen. Auch Linke, die sich wie schon beim Corona-Komplott einer dialektischen Analyse des Geschehens erneut verweigern, überschlagen sich in Verbalradikalismen.
„Man sollte dem Putin die Eier abschneiden“, schlug einer meiner Bekannten einen Tag nach Beginn der Intervention aggressiv vor. Warum er sich denn so echauffiere, war mein Einwand. Was er denn plötzlich mit der Ukraine am Hut habe. Tatsächlich hatte ich ihn bis dahin nie über die Ukraine reden gehört. Nein, was sich „der Russe“ da geleistet habe, das ginge nicht. Ich habe seinen Ausbruch unkommentiert gelassen. Gleichwohl hat mich seine Wortwahl irritiert: „der Russe“. Und dies aus dem Mund eines „Friedensfreundes“!
Die Wortwahl meines Bekannten hat mich aufgeschreckt und an die Nazi-Zeit und an meinen Vater erinnert. Der pflegte zwar selten und nur zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen dann doch mal in weinseliger Stimmung über seine „heldenhaften“ Einsätze im deutschen Vernichtungskrieg gegen die UdSSR „vom Russen“ zu schwadronieren. Und eben wegen ihm habe ich ein besonderes Verhältnis zu Russland entwickelt, ein hoch emotionales Verhältnis wie zu keinem anderen Land. Und ich gebe zu, äußerst empfindlich zu sein, wenn ich Russophobisches wittere oder höre.
Russophober Flächenbrand
Ich bin bestürzt, dass sich der von bürgerlicher Politik und ihren dienstbaren Propagandamedien aufgeflammte rassistisch motivierte Russenhass wie ein Flächenbrand ausgebreitet und alle Bereiche der sogenannten Zivilgesellschaft erfasst hat. Selbst auf dem der Kultur, auf das sich das Land der Dichter und Denker stets etwas eingebildet hat. Die prominentesten Opfer seien hier kurz erwähnt. Die in der vergangenen Dekade im europäischen Westen hofierte russische Starsopranistin Anna Netrebko (Mailänder Scala, Salzburger Festspiele, Wiener Opernball etc.) wurde zur Persona non grata erklärt, obwohl sie den russischen Einmarsch kritisiert hat. Der russische Weltklassedirigent und Ex-Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Waleri Gergijew indes bewahrte seine Würde, indem er der lächerlichen Forderung des Münchner Bürgermeisters, sich öffentlich von Putin zu distanzieren, nicht die geringste Beachtung schenkte (1). Natürlich machte der sozialdemokratische Kretin Ernst: Gergijew verlor daraufhin sein Dirigat.
Da sich längst verstorbene Künstler wie Fjodor Dostojewski zum Beispiel nicht mehr zu Putin äußern oder sich wehren können, werden sie sicherheitshalber in Schulen einiger Länder Westeuropas nun gleich auf den Index gesetzt. So zum Beispiel in Italien. Würde er noch leben, hätte er derzeit auch in Deutschland sicherlich Probleme, seine sauer verdienten Rubel in den Spielcasinos von Baden-Baden, Bad Homburg und Wiesbaden zu verprassen. Und Iwan Turgenjew?
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