Ein Kommentar von Michael Meyen.
Jedes Jahr zum Tag der Pressefreiheit veröffentlichen die „Reporter ohne Grenzen“ ein Ranking, das vor allem eines sagt: Wir sind die Guten.
Das Publikum liebt Ranglisten. Shanghai für die Hochschulen, der Best Country Report für die Lebensqualität und Freedom House für die Freiheit in der Welt. Es gibt Aufsteiger und Absteiger und Jahr für Jahr eine neue Meldung, über die sich trefflich diskutieren lässt — vor allem in Europa und Nordamerika, wo die Sieger wohnen. Man muss die Statistik dafür nicht einmal fälschen, sondern einfach nur das messen, was man selbst am besten kann, und alles weglassen, was das Bild trüben könnte. Bei den „Reportern ohne Grenzen“ sorgen dafür die Geldgeber und Fragen, die sich zum Beispiel in Afrika oder in Südostasien gar nicht stellen. Ergebnis: Die Medien sind bei uns ziemlich frei, auch wenn nicht nur Manova-Leser wissen, dass das so nicht stimmt.
Deutschland rutscht weiter ab, klagen die Leitmedien. Fünf Plätze schlechter als 2022. Nur noch Rang 21 und damit hinter der Slowakei und sogar hinter Osttimor und Samoa. Unfassbar. Zum Glück kennt man die Schuldigen. Zensur? Gott bewahre. Hetze gegen alle, die laut Fragen stellen zum Regierungskurs? Doch nicht bei uns. Dieses Land würde auch in Sachen Pressefreiheit längst Weltmeister sein, wenn da nicht ein paar Unverbesserliche wären, die auf Journalisten ungefähr so reagieren wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Glaubt man den „Reportern ohne Grenzen“, dann sind Demos in Deutschland ein gefährlicher Ort für alle, die dort mit Kamera, Mikro oder Presseschild auftauchen. 103 „physische Angriffe“ 2022, davon 87 „in verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten“.
Vorweg: Jede Attacke ist eine zu viel. Gleich danach kommt aber der Verdacht, dass das hier ganz gut passt. Man kann erst auf die zeigen, die hierzulande ohnehin unter Beschuss stehen, und dann auf die bösen Buben im Osten. Russland, Vietnam, China, Nordkorea. Plätze 164, 178, 179, 180. Da klingt 21 immer noch wie Champions League. Bundestrainer Marco Buschmann darf deshalb zwar ein wenig betrübt sein und „Drohungen und gewaltsame Übergriffe“ auf Journalisten beklagen, hat aber ansonsten keinen Grund, die politische Rhetorik zu überarbeiten. Zitat, so am 3. Mai 2023 zu lesen in vielen Leitmedien:
„Die Pressefreiheit ist eines der höchsten Güter im liberalen Rechtsstaat. Sie zu fördern, muss unser Ziel sein; sie zu schützen, ist unsere Pflicht.“
Nun denn, Herr Minister. Lassen Sie uns das in drei Schritten angehen. Nummer eins: Wir schauen auf den Kellner, der da jedes Jahr zum Welttag der Pressefreiheit eine Quittung ausstellt. Nummer zwei: Wir zählen nach. Und Nummer drei: Wir schlagen all das drauf, was in der Rechnung fehlt.
Die „Reporter ohne Grenzen“ sitzen in Paris und sind damit auf den ersten Blick weniger verdächtig als der US-Thinktank „Freedom House“, der bis 2017 jedes Jahr eine Konkurrenzliste veröffentlicht hat und einen Großteil seiner Gelder und Sicherheiten direkt oder indirekt aus dem Staatshaushalt in Washington bezieht. Der Volksmund weiß, was das Brot aus den Liedern macht, die draußen gesungen werden.
Die „Reporter ohne Grenzen“ hatten 2022 ein Budget <1> von gut acht Millionen Euro. Drei Viertel lieferten EU, staatliche Behörden und „kommerzielle Aktivitäten“, etwa Buchprojekte. Private Stiftungen: etwas mehr als eine Million Euro. Konkreter wird es in einem Bericht für 2021 <2>, wo zum Beispiel die schwedische Entwicklungshilfe als Großsponsor genannt wird. Rund eine Million Euro. Nach französischen Behörden und dem Außenministerium de...