Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente.
Dass sich Journalisten als Aktivisten verstehen: Das kennt man bereits – wenn man sich auch nur schwerlich daran gewöhnt. Aber dass nun auch noch Politiker ein Aktivistendasein ausleben, ist neuartig in diesem Land: Und daneben auch noch völlig deplatziert.
Dass es nach den Merkel-Jahren nicht viel schlechter kommen könne: Diese Einsicht galt vielen als ausgemachte Tatsache. Mittlerweile schwant einigen, dass die Zeit unter der Bundeskanzlerin, wenn sie schon nicht gut, schon nicht sozialverträglich und weitsichtig war, so doch wenigstens noch von einem Rest Realitätssinn getragen war. Unter Umständen werden die, die nach uns kommen, irgendwann im Jahre 2057 oder 2081 Rückschau halten und festhalten: Als jene Kanzlerin mit ihrer Regierung abtrat, da hat sich ein eklatanter Wandel im politischen Betrieb vollzogen. Politikerinnen und Politiker waren von da ab nicht einfach nur Volksvertreter, mit einem Mandat ausgestattete Erfüllungsgehilfen des Volkswillens, sondern auch Straßen- und Guerillakämpfer.
Wenn sie auch selbst nicht auf den Straßen aktiv waren, so wird man in diesem zukünftigen Szenario festhalten, so doch von ihrer Mentalität her. Aus reinen Funktionären wurden so Aktivisten. Leute, die Taktiken anwandten, die nicht dem Hohen Haus entsprachen, sondern denen vorbehalten waren, die nicht umsichtig die Interessen im Lande abwägen mussten, sondern im Grunde als Lobbyisten des Aktivismus auftraten. Vor 2021, so die vermutliche Analyse aus 2057 oder 2081, verstanden sich Abgeordnete, Staatssekretäre und Minister noch halbwegs als ausführende Exekutoren, die wenigstens mal auf die Realität schielten.
Man muss den Medienmenschen als Aktivisten begreifen
Vor einigen Jahren hat Jan Fleischhauer seine Kollegen gerügt. Er schrieb in seiner Kolumne, damals noch beim Spiegel und noch nicht beim Focus:
"Ich würde immer sagen, die Aufgabe von Journalisten ist nicht Ermunterung oder Anfeuerung, auch wenn einen das dem Verdacht aussetzt, kalt und herzlos zu sein. […] In Zeiten, in denen der Signetbegriff von auszeichnungswürdigem Journalismus Haltung lautet, muss man den Journalisten als Fan als eine konsequente Fortschreibung des Medienmenschen als Aktivist begreifen."
Damals ging es um die Sympathisierung einer breiten Medienfront mit Greta Thunberg. Was das noch für harmlose Zeiten waren! Seine Einordnung des Journalismus war damals fast schon einzigartig. Fleischhauer war einer der wenigen seiner Zunft, die dem Phänomen eines Journalismus, der nicht mehr nur erfasst, berichtet und darlegt, sondern beeinflusst, prägt und Schwerpunkte setzt, eine zutreffende Beschreibung gab: Journalismus hatte sich zum Aktivismus gewandelt. Für ihn war das keine Arbeitsmoral: Sein Beruf fungiert schließlich nicht als Cheerleader etwaiger Interessen, Bewegungen oder Einzelakteure. Er sollte abseits stehen und begutachten. Meinungsjournalismus kann es deswegen dennoch geben, doch die Tagesschau oder die Tagesthemen sollten keine Sympathiebekundungen absetzen.
Dass der Medienmensch ein Überzeugungstäter ist, also letztlich auch ein Aktivist: Seit dem Text von Fleischhauer ist einige Zeit ins Land gegangen – und was für eine Zeit! Mehr denn je war erkennbar, dass die Branche stärker dem Aktivismus verfallen war, als man das annehmen wollte. Man denke nur, mit welcher Penetranz man Menschen der medialen Hatz aussetzte, die an Maßnahmen gegen das Virus zweifelten, sie für unangemessen hielten. Teilweise hat die Justiz die Unangemessenheit mittlerweile bestätigt. Der Medienmensch ignoriert das: Aktivisten haben selten Einsehen, sie machen immer weiter und weiter. Sendungsbewusstsein nennt sich dieser Drang.
Der Wahrheit auf den Grund zu gehen, wenigstens versuchen,