Die Ukraine erhöht den Druck auf die westlichen Fluchtzielländer, wehrfähige und der Fahnenflucht beschuldigte Ukrainer wieder auszuliefern, da an der Front das „Kanonenfutter“ ausgeht.
Ein Standpunkt von Hannes Hofbauer.
Die Migrationspolitik ist überwiegend durch einen selektiven Humanismus gekennzeichnet. Menschlich gibt man sich dann, wenn es gerade in das eigene geopolitische Kalkül passt. Ist der flüchtende Mensch für das eigene Vorhaben genehm, wird dieser medienwirksam aufgenommen. Der Impetus der Menschlichkeit ist dabei größtenteils nur aufgesetzt. Dies zeigt sich sehr schnell in den Fällen, wenn die vermeintliche Menschlichkeit auf den Prüfstand gestellt wird. Etwa dann, wenn die geflüchteten Menschen aus dem „Feindesland“ kommen oder wenn diese an der jeweiligen Front für westliche Interessen benötigt werden. Letzteres bahnt sich zunehmend im Falle des Ukrainekriegs an. Wurden letztes Jahr die geflüchteten Menschen aus der Ukraine unabhängig von Geschlecht und Alter mit offenen Armen empfangen, so dreht sich allmählich der Wind in die andere Richtung — in Richtung Front. Dort sterben zunehmend so viele — junge — Menschen, dass es für die Ukraine immer schwieriger wird, die Stellung zu halten. So befehligt Kiew alle geflüchteten Ukrainer im wehrfähigen Alter, zurückzukommen, um in dem aussichtslosen Krieg einem sinnlosen Sterben entgegenzumarschieren. Der Druck auf die Zielfluchtländer steigt. Bei der Frage „Flüchtling oder Deserteur“ wird sich final zeigen, wie es die westliche Migrationspolitik wahrhaftig mit dem Humanitären hält. Werden die Länder den Menschen, die von der Front — teils für horrende Summen — fliehen konnten, weiterhin Zuflucht bieten oder sie in den sicheren Tod an der Front abschieben?
Die Aufregung über die Ansage vom 1. September 2023 aus dem ukrainischen Parlament, demnächst alle im Ausland aufhältigen wehrfähigen Männer heim ins Land zu holen, war in deutschen Medien kaum zu spüren. Und das, obwohl sie von einem der einflussreichsten Politiker in der Werchowna Rada kam, dem Fraktionschef der Regierungspartei „Diener des Volkes“ und engstem Vertrauten des Präsidenten. Dawid Arachamija forderte von Europa nicht weniger als die Auslieferung aller ukrainischen Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren. Die Begründung: Sie seien allesamt fahnenflüchtig und illegal ausgereist.
Der Grund für die Heimholaktion ukrainischer Männer besteht einerseits in den sich leerenden Schützengräben, die dringend einer Auffüllung bedürfen, und andererseits in der Erkenntnis, dass wohl hunderttausende Wehrpflichtige für viel Geld falsche Musterungsbescheide erschlichen haben. Das liegt zwar in der Natur einer extremen Klassengesellschaft wie der ukrainischen und entspricht auch ihren von Korruption durchtränkten staatlichen Institutionen, aber die schiere Not am Mann im Schützengraben lässt jetzt diese Strukturen aufbrechen.
Selenskyj persönlich hat dafür den Startschuss gegeben, indem er Mitte August 2023 alle Regionschefs der ukrainischen Einberufungsämter entlassen hat; die umtriebigsten von ihnen wurden sogleich verhaftet. So zum Beispiel der Chef des Militärberufungsamtes in Odessa, Jewhen Borissow. Ihm wirft der Staatsanwalt illegale Bereicherung in Höhe von 4,5 Millionen Euro vor. Für den Stempel „untauglich“ schieben die Reichen in der Ukraine im Durchschnitt 8.000 bis 9.000 Euro unter dem Bürotisch des Amtes durch; für einen solchen Betrag muss ein gewöhnlicher Arbeiter ein halbes Jahr lang roboten. Aufgeflogen ist die Korruption im Wehrkreis Odessa, weil Borissows Mutter, eine einfache Frau, für 3,7 Millionen Euro eine Villa in Spanien erworben hat.
Im Inland lebende Männer, die sich dem Soldatensein entziehen wollen, werden mittels Streifungen auf öffentlichen Plätzen in ukrainischen Städten eingefangen und dem Militär übergeben.