Ein Kommentar von Caitlin Johnstone.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Das Problem mit „westlichen Werten“ ist, dass der Westen sie nicht schätzt.
Die westlichen Werte erfahren eine permanente Entwertung. Das ist dem doppelzüngigen Umgang mit diesen Werten geschuldet. Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass diejenigen, die am lautesten über die Tyrannei in fremden Ländern kreischen, immer dieselben sind, die die Zensur und Deplatforming (1) aller fordern, die das westliche Imperium kritisieren? Es ist ein allgegenwärtiger Geistesvirus in der gesamten westlichen Gesellschaft. Jeder — und ich meine wirklich jeden —, der die Außenpolitik der USA und ihrer Verbündeten vor einem größeren Publikum offensiv und konsequent kritisiert, wird von Apologeten des Imperiums als russischer Agent gebrandmarkt, und dieser Konsens wird von der stetig wachsenden Meinung begleitet, dass Russlands Agenten und ihre nützlichen Idioten von westlichen Plattformen verbannt werden sollten.
Die Verteidiger des westlichen Imperiums werden nicht zugeben, dass sie alle Kritiker des Imperiums zum Schweigen bringen wollen, aber das ergibt sich, wenn man a) die Tatsache, dass sie jeden, der das Imperium mit ausreichender Vehemenz kritisiert, als russischen Agenten betrachtet, mit b) ihrer Meinung kombiniert, dass diejenigen, die „russischem Einfluss unterliegen“, zensiert werden sollten.
Immer wenn ich die Außenpolitik des westlichen Imperiums kritisiere, sagen mir seine Apologeten, dass ich meine Herrscher niemals so kritisieren dürfte, wenn ich in einem Land wie Russland oder China leben würde, obwohl sie genau wissen, dass es doch hier genau so wäre: Auch hier dürfte ich das westliche Empire nicht kritisieren, wenn es nach ihnen ginge. Sie sind dieselben wie die Tyrannen, die sie angeblich verachten.
Das Problem mit „westlichen Werten“ ist, dass die Menschen im Westen sie nicht schätzen.
Sie denken, dass sie sie wertschätzen, aber all diese Achtung vor der freien Meinungsäußerung und vor der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Licht der Wahrheit verschwindet sofort, sobald sie jemanden etwas sagen hören, das sich stark von dem unterscheidet, was ihre Herrscher und ihre Propagandisten ihnen zu denken gegeben haben. Dann wollen sie diese Person zum Schweigen bringen und kaltstellen.
In Wahrheit verkörpern die schärfsten Kritiker des westlichen Imperiums diese westlichen Werte unendlich mehr als die Apologeten des Imperiums. Gerade die Kritiker des Imperiums sind es, die die Meinungsfreiheit schätzen und die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen. Und die gehirn-gewaschenen Stiefellecker des US-zentralisierten Imperiums sind es, die Zensur fordern und jeden niederschreien, der den mächtigsten Menschen der Welt eine kritische, oppositionelle Meinung entgegensetzt.
Menschen sagen mir „Geh nach Russland!“ oder „Zieh nach China!“, je nachdem, welchen Aspekt der globalen Machtagenda des Imperiums ich gerade kritisiere, und ich möchte ihnen immer sagen:
Nein, gehen Sie nach Russland. Ziehen Sie nach China. Sie sind derjenige, der versucht, Dissens und Kritik an den Mächtigen zu unterdrücken. Ich bin diejenige, die nach westlichen Werten lebt, wie sie mir verkauft wurden,