Ein Kommentar von Norbert Häring.
Entwicklungsländer versuchen unter widrigsten Bedingungen, die Corona-Pandemie einzudämmen. Da propagiert die Weltbank, den Bewohnern von Slums, wo die hygienischen Bedingungen am schwierigsten sind, das Wasser abzustellen, wenn ihre Vermieter die Wasserrechnung nicht bezahlen. Dahinter steckt eine menschenverachtende Grundphilosophie von Entwicklungsarbeit.
Die Philosophie der Weltbank heißt seit etwa zwei Jahrzehnten “nachhaltige Entwicklung”; “nachhaltig” im Sinne von auf Dauer gewinnträchtig. Die Entwicklungsarbeit soll, wo immer möglich, in Partnerschaft mit privaten Unternehmen und ihren Stiftungen geschehen, denn nur wenn jemand an Entwicklungspolitik nachhaltig Geld verdienen könne, fließe genug Geld hinein, um nachhaltig etwas zu bewirken. Die Ableitung davon lautet, so viel wie möglich zu privatisieren und zu kommodifizieren, also zur handelbaren Ware zu machen.
Und so ist es durchaus folgerichtig, dass die Weltbank im Juli 2020, mitten in der Corona-Pandemie, den wissenschaftlichen Aufsatz mit dem Titel veröffentlicht: „Enforcing Payment for Water and Sanitation Services in Nairobi’s Slums“, zu Deutsch: „Zahlung für Wasser und Abwasserdienste in Nairobis Slums erzwingen“.
Die vier Autoren, darunter ein Weltbank-Ökonom, ein ehemaliger argentinischer Vize-Finanzminister, und der bekannte Experimentalökonom Paul Gertler von der University of California, haben dafür eines der berüchtigten Randomized Controlled Trials (kontrollierte Zufallsexperimente) an armen kenianischen Slumbewohnern exerziert.
Strikte Durchsetzung mittels Wassersperren verbessert die Zahlungsmoral und die finanzielle Position der Versorger, ohne politische Kosten nach sich zu ziehen.
In den Slums Nairobis wohnen die meisten Menschen als Mieter auf Grundstücken mit einem gemeinsamen Wasseranschluss für alle. Die Grundbesitzer sind für die Wasserrechnung zuständig. Die Regierung hat durch Subventionen geschafft, die meisten Haushalte wenigstens an solche Sammel-Endpunkte fließenden Wassers anzuschließen. Aber sehr viele Vermieter bezahlen die Rechnung nicht und das Wasser wird – auch deshalb – oft streng rationiert.
In Einklang mit der konzernnahen Weltbank-Philosophie testeten die vier fast grenzenlos zynischen Autoren nun in Zusammenarbeit mit der Wassergesellschaft, was passiert, wenn man den Grundstückseigentümern mit Wassersperre droht, und diese dann wenn nötig auch durchzieht. Direkte Leidtragende sind dabei die Mieter, die kein Wasser mehr bekommen.
Knapp 30 Prozent der Grundstücke in der “behandelten” Gruppe wurde das Wasser abgestellt. Nach neun Monaten, im Herbst 2019, kurz vor Ausbruch der Corona-Krise, hätten „viele“ der betroffenen Haushalte wieder Wasser gehabt, heißt es in dem Aufsatz, und weiter im unterkühlten Jargon der Weltbank: „Man muss Abwägen zwischen der Notwendigkeit sicherzustellen, dass die Wassersperre glaubwürdig und ökonomisch bedeutsam für den Kunden (den Grundbesitzer) ist, während sie gleichzeitig flexibel genug ist, um Gelegenheit zur Nachzahlung und Aufhebung der Sperre zu bieten.“
Das Ergebnis der experimentellen Intervention war, dass die Zahlungsmoral der Vermieter sich durch diese Maßnahme steigern ließ, während gleichzeitig der gefürchtete Aufstand der Slumbewohner nicht stattfand. Das Resümee der Autoren: „These results suggest that strict enforcement through disconnections increases payment and the financial position of the utility without incurring political costs.“ Zu Deutsch: „Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass strikte Durchsetzung mittels Wassersperren die Zahlungsmoral und die finanzielle Position der Versorger verbessert, ohne politische Kosten nach sich zu ziehen.“
Recht auf sauberes Wasser? Nicht vorgesehen
Implizit rechtfertigen die Ökonomen in dem Aufsatz die aus Sicht vieler Menschen zynische Herangehensweise damit, dass finanziell besser ausgestattete Wasserversorger in der ...