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Ein Film wie ein Skalpell | Von Jonny Rieder


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Ein Standpunkt von Jonny Rieder.


Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Jonas Alters Dokumentation „Höchstens vier Wochen“ begleitet den „längsten Streik in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens“.

Der Verfall der Kliniken in diesem Land zeichnet sich schon lange ab. Wie soll ein Gesundheitssystem funktionieren, wenn es Gewinn machen muss? An Personal wird gespart, dafür gibt es reichlich unnötige OPs. Erst ist das Personal ausgebrannt, dann sterben die Patienten. Toll gemacht, Politiker! Wie immer. Zeit für einen Streik.
„Meine Kollegin hatte einen sauerstoffpflichtigen Patienten zur Radiologie gebracht. Nach der Untersuchung musste der Patient drei Stunden warten, bis er abgeholt wurde. Er verstarb unbemerkt. An Sauerstoffmangel. Es war kein Personal anwesend, das bemerkt hätte, dass seine Sauerstoffflasche leergelaufen war.“
Der Auftritt des jungen Mannes am Rednerpult der gut gefüllten Kirche ist kurz, aber seine Geschichte bleibt hängen. Nur einer von vielen Fällen, die dokumentieren, wie kaputt, wie krank das deutsche Gesundheitssystem ist. Endlich einmal wird eine Kirche genutzt, um die Gesellschaft wachzurütteln, statt erfundene Götter um Beistand zu bitten, den sie nicht liefern können. Es liegt an uns Menschen, unsere Probleme zu lösen.
Jonas Alters Filmdoku „Höchstens vier Wochen — Die Geschichte des größten Streiks im deutschen Gesundheitssystem“ begleitet die Streikenden der sechs Unikliniken Nordrhein-Westfalens während ihres 77 Tage langen, basisdemokratisch organisierten Kampfs für akzeptable Arbeitsbedingungen. Die Massenmedien ignorieren den Streik so gut sie können. Gesundheit ist offenbar nicht sexy. Zudem kratzt das Thema an der schönen neuen Welt des Neoliberalismus, dem sich Politik und Medien vollständig verschrieben haben. Womöglich sind die Medien auch zu sehr damit beschäftigt, den Menschen die Prioritäten dieses Systems und seiner Lakaien in der Regierung schmackhaft zu machen: „Waffen, Waffen und nochmals Waffen“ (1).
„Mehr von uns ist besser für alle!“
Die Parole „Mehr von uns ist besser für alle!“ zeigt, dass es den Arbeitern nicht wie so oft bei Arbeitskämpfen um mehr Geld geht — obgleich auch das ein mehr als legitimes Anliegen wäre —, denn sonst hieße es „Mehr für uns (…)“. Es geht schlicht um mehr Personal. Personal, um die täglich nötige Versorgung der Patienten zu gewährleisten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wie der Name Krankenhaus vermuten ließe. In seinem kürzlich erschienen Buch „Würde“ (2) erinnert Gerald Hüther daran, dass es bis Mitte der 1980er-Jahre in der BRD gesetzlich verboten war, „in Krankenhäusern Gewinne zu machen“.
Spätestens seit die Bundesregierung 2004 unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) mit tatkräftiger Beihilfe Karl Lauterbachs ein neues Finanzierungsmodell eingeführt hat, das DRG-System (DRG steht für „diagnosebezogene Fallgruppen“), sind die Kliniken quasi Profitcenter und folglich chronisch unterbesetzt. Seitdem geht es nicht mehr um die Gesundheit der Patienten, sondern um lukrative Behandlungen.

Kurz: Personalabbau, denn Personal kostet. Dafür Operationen um jeden Preis. Die bringen Geld. „Bei Patienten, die längerer Zuwendung bedürfen, aber dem Betreiber kein Geld einbringen, wenn eine vereinbarte Operation abgeschlossen ist,
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