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Vergesslichkeit und die Frage nach Gerechtigkeit
Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen. Das höre ich meine Mama noch aus der Küche rufen, als ich schon das dritte Mal zurück in mein Zimmer sprinte, weil ich wieder etwas vergessen habe. Vergesslichkeit gehört leider zu den Top drei meiner Eigenschaften.
Wie oft stehe ich an der Bushaltestelle und friere, weil ich keinen gültigen Fahrausweis dabei habe. Wie oft sitze ich im Sportunterricht auf der Bank, weil meine Sporttasche gut gepackt zu Hause auf dem Bett steht. Wie oft bekomme ich Einträge ins Klassenbuch, weil die Hausaufgabe eben doch schon heute abzugeben war und nicht erst nächsten Dienstag.
Vergesslich zu sein, ist anstrengend und blöd, denke ich in diesen Momenten. Nicht nur für meine Mama, die mich dann in die Schule fahren, mir mein Sportzeug hinterher tragen oder die Elternbriefe unterzeichnen muss. Nein, auch für mich.
Denn ich ärgere mich, wenn ich an der Bushaltestelle im Winter friere. Ich ärgere mich, wenn ich im Sportunterricht auf der Bank sitze und zuschauen muss. Und ich ärgere mich, wenn der Eintrag wiederkommt, weil ich weiß, dass ich es doch besser kann und will.
Es klappt nur eben manchmal einfach nicht.
Was für ein blöder Predigttext, denke ich in lebhafter Erinnerung an meine Jugend. Zehn Frauen, von denen fünf dumm sind. Zehn Frauen, von denen fünf das Himmelreich nicht erleben dürfen. Zehn Frauen, von denen fünf vergesslich waren und von denen eine ich hätte sein können.
Unser Predigttext hat mich heute Morgen gedanklich in meine Jugend und meine Schulzeit zurückgebracht, in meinen Ärger über mich selbst und in die Ungerechtigkeit, die ich damals oft empfunden habe.
Ungerechtigkeit, weil doch jeder mal etwas vergessen kann. Wieso dann gleich ausgeschlossen werden? Das dachte sich vielleicht auch die ein oder andere der fünf, die nicht ausreichend Öl mitgenommen hatte. Das Gleichnis wirkt auf mich als eine Frau, die den Törichten wohl näher ist als den Klugen, ungerecht und hart.
Das Gleichnis im Kontext
Wie sollte ich ausgerechnet heute mit so einem Predigttext über Gottes Güte und Gnade und Gerechtigkeit predigen? Vielleicht müssen wir uns dafür den Predigttext und das Drumherum ein bisschen genauer anschauen.
Der Text steht im Matthäus-Evangelium zwischen zwei weiteren Gleichnissen. Das Gleichnis, das vor diesem Text kommt: Da geht es um einen treuen Knecht, der arbeitet und dafür belohnt wird, und um einen bösen Knecht, der nicht arbeitet und dafür bestraft wird.
Dann kommt das Gleichnis unserer zehn Jungfrauen, und danach steht ein Gleichnis: Da geht es um viel Geld, das von drei Männern verwaltet wird. Einer verwaltet es richtig gut. Einer so okay und einer eher gar nicht gut.
Alle drei dieser Gleichnisse erzählen vom Himmelreich Gottes. Und weil es ein Thema ist, das für uns Menschen so schwer zu verstehen ist, bettet es der Autor des Matthäus-Evangeliums in verschiedene Bilder und Geschichten ein, mit denen wir uns identifizieren können.
Denn Gleichnisse haben nicht unbedingt den Anspruch, historisch korrekt oder detailgetreu zu sein, sondern sie sollen eine Ebene schaffen, auf der wir – du und ich – heute noch eine Vorstellung davon bekommen können, wie Gott über manche Dinge denkt. Wir sollen durch diese Geschichte heute etwas lernen, uns darin wiederentdecken und Gott besser verstehen lernen.
Also versuchen wir es doch einmal.
Hochzeitsbräuche zur Zeit Jesu
In dem Gleichnis geht es um zehn Jungfrauen, die auf eine Hochzeit eingeladen waren. Zur damaligen Zeit war es so, dass die Braut in ihrem Elternhaus auf den Bräutigam wartete. Der kam dann, um sie heimzuholen in sein eigenes Haus.
Mit der Braut zusammen warteten Brautjungfern, das waren unverheiratete Freundinnen der Braut. Und sobald gemeldet wurde, dass der Bräutigam in Sichtweite war, dass er ins Dorf oder an das Haus kam, hatten die Brautjungfern die Aufgabe, dem Bräutigam entgegenzugehen, um ihn zum Haus zu führen.
Und die brennenden Fackeln oder Öllampen, von denen im Gleichnis die Rede ist, waren eine nötige Voraussetzung für dieses Einholen des Bräutigams. Denn früher gab es keine Straßenbeleuchtung. Kann man sich heute vielleicht gar nicht mehr vorstellen. Aber das war natürlich schwierig, weil es dadurch im Dunkeln einfach schwer war, den richtigen Weg zu finden.
Also musste er beleuchtet werden. Und jeder war selbst dafür zuständig. Wer es sich leisten konnte, hatte einen Diener, der ein Licht vorneweg trug. Aber wenn man Gäste erwartete, dann gehörte es dazu, dass man ihnen entgegenging.
Da die Lampen sehr klein waren, mussten die Jungfrauen Ersatzgefäße für Öl dabei haben. Und dann zogen alle zum Haus des Bräutigams, wo die Hochzeitsfeier stattfand.
Müdigkeit, Warten und unsere Kraftlosigkeit
Nun heißt es in unserem Text in Vers 5 wie folgt: „Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.“ Eine andere Übersetzung sagt, er verzögerte sich. Was im Urtext so viel bedeutet wie: Viel Zeit vergeht – länger als erwartet.
Und dann passiert etwas ganz Alltägliches: Die Damen werden müde und schlafen ein. Und hier finden wir vielleicht schon eine erste Antwort auf die Frage, ob dieses Gleichnis wirklich so ungerecht ist, wie es anfänglich schien.
Bis zu dem Zeitpunkt, als der Bräutigam kommt, wird zwischen den zehn Frauen keine Unterscheidung getan. Sie waren alle pünktlich am Haus der Braut. Sie warteten alle gemeinsam, und sie schliefen alle gemeinsam ein.
Wenn man im Leben lange darauf wartet, dass etwas Bestimmtes passiert, dann kann man schon mal müde werden. Ausdauer ist eine Kraft, die eben auch nur über einen bestimmten Zeitraum hinweg hält.
Wenn ein Angehöriger krank wird oder pflegebedürftig, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte. Wenn man gemeinsam auf ein Kind hofft und es will einfach nicht klappen, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte. Wenn eine Beziehung in die Brüche geht und Streit an der Tagesordnung ist, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte.
Ich glaube, dass wir alle Phasen in unserem Leben kennen, in denen wir kraftlos sind. Vielleicht liegt die gerade schon etwas zurück, vielleicht steckst du auch mittendrin.
In diesen Phasen geht uns oft nicht nur die Kraft für die Sache an sich aus, sondern auch die Hoffnung und der Mut zu glauben, dass es bessere Zeiten geben wird.
Umso tröstlicher die Wahrheit aus diesem Text, dass alle zehn Jungfrauen einschliefen. Keine der zehn schaffte es, wach zu bleiben. Nicht die, die unvorbereitet kamen, und nicht die, die vorbereitet kamen.
Das darf uns heute Morgen sagen: Jesus begegnet uns in unseren dunklen Zeiten, in unserer Müdigkeit nicht, um zu sagen: Ihr habt versagt, ihr seid eingeschlafen. Im Gegenteil.
Matthäus 11, 28: „Wenn ihr mühselig und beladen seid, dann kommt her zu mir, denn ich will euch erquicken.“
2. Korinther 12: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Das ist es, was Jesus uns in diesen Stunden zusagt. Niemand wird dafür bestraft, müde zu sein oder am Ende seiner Kräfte. Niemand wird dafür von Jesus bestraft, dass er einmal länger wartet, als er es erwartet hat.
In diesem Gleichnis gibt es keine Einteilung in gute und schlechte Menschen. Nicht in Glaubenshelden oder Versager. Das Gleichnis erzählt von Menschen, die warten und die müde sind. So wie wir.
Es ist okay, wenn du gerade müde bist von den Umständen in deinem Leben. Jesus geht nicht weg, er schaut nicht weg, er lässt dich damit nicht allein und er straft dich vor allem dafür nicht. Denn Gott liebt uns bedingungslos, auch an den müden und kraftlosen Tagen.
Mitternacht – Gottes perfektes Timing
Ich habe vorhin gesagt, historisch gesehen hat dieses Gleichnis nicht unbedingt den Anspruch, ganz korrekt zu sein. Das sieht man vielleicht auch daran, dass die Hochzeit um Mitternacht passiert – nicht ganz die typische Zeit für eine Hochzeitsfeier.
Auch das hat biblisch gesehen seinen Grund. Denn Mitternacht steht in der Bibel für einen Zeitpunkt, in dem Gott besonders oder durch große Wunder wirkt. Das sehen wir in der Passahnacht, als Gottes Engel durch Ägypten ziehen. Oder bei Paulus und Silas, als sie im Gefängnis sitzen, um Mitternacht beten und die Gefängnistüren sich öffnen. Oder eben jetzt hier in diesem Gleichnis, wo es Mitternacht wird und der Bräutigam endlich erscheint.
Was für die Frauen also so scheint, als wäre der Bräutigam zu spät, ist in Wahrheit Gottes perfektes Timing. In der tiefsten Nacht, im scheinbar hoffnungslosesten Moment, geschieht das Entscheidende.
In Vers 6 heißt es: „Um Mitternacht aber erhob sich hocherlautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt, geht hinaus ihm entgegen.“
Advent – die Ankunft des Bräutigams
Was passiert hier in diesem Gleichnis, als der Bräutigam kommt und die Jungfrauen wachgemacht werden? In der griechischen Tradition nennt man das ein Einholungsritual. Das bedeutet: Wenn ein Herrscher oder ein König in die Stadt kommt, wurde ihm entgegengegangen, um ihn einzuholen. Ein „Adventus“.
Und was wissen wir über das Wort Advent? Was bedeutet das Wort Advent? Ankunft. Genau. Das Wort Advent bedeutet Ankunft.
Wenn hier im Gleichnis davon gesprochen wird, dass der Bräutigam ankommt, dann können wir ganz gewiss davon ausgehen, dass Jesus selbst gemeint ist. Er sagt: „Der kommt.“
Das Gleichnis ist ein Zuspruch an uns. Jesus Christus kennt unsere Nöte, unsere Ängste, unsere Trauer, unsere Sorgen. Er weiß, wie sehnsüchtig wir auf Erfüllung warten, auf sein Reich warten, auf Trost warten, auf Gerechtigkeit warten.
Und in unser Warten, in unsere Müdigkeit hinein ruft uns das Gleichnis zu: Das Reich Gottes kommt. Bleibt munter. Bleibt wach. Denn Gott kommt in Jesus. Immer zur richtigen Zeit.
Bis hierher eigentlich ganz schön, finde ich. Aber wir können das Ende dieses Gleichnisses natürlich nicht leugnen. Wir können nicht vergessen und außen vor lassen, dass es fünf der Frauen nicht ins Himmelreich geschafft haben.
Also frage ich mich: Welchen Anspruch stellt dieses Gleichnis neben diesen tollen Zusprüchen an uns?
Drei Impulse aus dem Gleichnis
Der Text nennt uns drei Dinge.
Erstens: genügend Öl dabei haben. In Vers 4 steht: „Die Klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen samt ihren Lampen.“
Für uns heißt das: unsere Beziehung zu Jesus Christus pflegen. Denn das Öl im Gleichnis ist ein weiteres Bild für unsere Beziehung mit Gott. Etwas, das man nicht verleihen oder weggeben kann.
Ich kann einem anderen nicht meinen Glauben geben, meine Gottesbeziehung. Ich kann für andere beten, ja, aber glauben muss jede und jeder für sich selbst.
Das Öl ist das in meinem Leben, was mein Glaubenslicht nährt: zum Beispiel das Vertrauen, das ich im Alltag lebe. Das Gebet, das ich spreche. Die Liebe, mit der ich Menschen begegne. Oder das Hören auf das Wort Gottes.
All das kann mir niemand abnehmen, aber ich kann es eben auch niemandem borgen. Ein Anspruch, den Jesus Christus mit diesem Gleichnis an uns stellt, ist es also, unsere Beziehung zu ihm zu priorisieren, zu pflegen, dran zu bleiben.
Zweitens: Der zweite Anspruch heute Morgen ist, bereit zu sein. In Vers 7 steht: „Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.“ Und Vers 10 sagt dann: „Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.“
Bereit zu sein wird sich daran auszahlen und zeigen, dass wir Jesus Christus erkennen und er uns. Je mehr Zeit wir mit einem Menschen verbringen, umso besser lernen wir ihn kennen.
Wenn man ganz frisch in einer Beziehung ist, dann erkennt man den anderen als erstes am Aussehen. Später reicht dann vielleicht eine Stimme, um zu erkennen, wer der Sprecher am anderen Ende des Telefons ist, wenn mal die Nummer unbekannt ist. Noch viel später reicht dann vielleicht ein Geruch oder der Klang des Ganges, wenn der Mann oder die Frau die Treppe hochkommt. Oder vielleicht sogar noch viel kleinere Dinge.
Je besser wir jemanden kennenlernen, umso eher erkennen wir ihn auch. Mit Jesus und uns ist das ganz genauso. Je mehr wir von ihm wissen, je besser wir ihn kennenlernen, je mehr Zeit wir mit ihm verbringen, umso leichter werden wir ihn erkennen und umso leichter wird er uns erkennen.
Und damit kommen wir auch schon zum dritten Anspruch, den der Text an uns stellt: aufmerksam und wachsam sein. In Vers 13 steht: „Darum wachet, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“
Wir wissen den Tag und die Stunde unseres Todes oder Jesu Wiederkunft – je nachdem, was eher kommt – nicht. Umso besser, wenn wir darauf vorbereitet sind. Vorbereitet auf das Sterben und den Tod, aber auch vorbereitet auf die unendliche Freude, die damit kommt.
Das Bild vom Hochzeitsmahl ist eines der schönsten Bilder, das für dieses Thema hätte gewählt werden können. Hochzeiten bringen Freude und Hoffnung mit sich. Ein Ausblick auf ein Leben mit einem Partner oder einer Partnerin, die man über alles liebt. Es ist der Ausblick darauf, dass das Leben jetzt so richtig beginnt.
Denn mit dem Tod beginnen wir unser Leben im Himmelreich Gottes. Seit Jesu Auferstehung ist der Tod nicht mehr das Ende unseres Lebens, sondern Jesus wartet mit einem Fest auf uns. Ein Fest, auf das wir uns heute schon freuen dürfen. Ein Fest, vor dem wir keine Sorge haben müssen, denn Jesus Christus hat den Tod überwunden.
Zusammenfassung und Zuspruch
Lasst mich noch einmal zusammenfassen, was wir – was ich – heute Morgen von diesem Text gelernt habe.
Erstens: Gott liebt uns bedingungslos, auch an den Tagen, an denen wir müde und ausgelaugt sind, an denen wir einschlafen, weil wir keine Kraft mehr haben.
Zweitens: Selbst wenn es nicht danach aussieht und sich für uns anfühlt, als wäre er viel zu spät und wir schon viel länger warten, als es gut ist – Gott kommt in Jesus immer zur richtigen Zeit.
Und drittens: Wenn wir unsere Beziehung zu Jesus pflegen, ihn immer besser kennenlernen, bereit sind für den Tag unseres Todes oder für den Tag seiner Wiederkunft, dann dürfen wir uns auf diesen Tag freuen. Denn Jesus Christus spricht: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, der wird niemals sterben.“
Amen.
By imagine03.deVergesslichkeit und die Frage nach Gerechtigkeit
Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen. Das höre ich meine Mama noch aus der Küche rufen, als ich schon das dritte Mal zurück in mein Zimmer sprinte, weil ich wieder etwas vergessen habe. Vergesslichkeit gehört leider zu den Top drei meiner Eigenschaften.
Wie oft stehe ich an der Bushaltestelle und friere, weil ich keinen gültigen Fahrausweis dabei habe. Wie oft sitze ich im Sportunterricht auf der Bank, weil meine Sporttasche gut gepackt zu Hause auf dem Bett steht. Wie oft bekomme ich Einträge ins Klassenbuch, weil die Hausaufgabe eben doch schon heute abzugeben war und nicht erst nächsten Dienstag.
Vergesslich zu sein, ist anstrengend und blöd, denke ich in diesen Momenten. Nicht nur für meine Mama, die mich dann in die Schule fahren, mir mein Sportzeug hinterher tragen oder die Elternbriefe unterzeichnen muss. Nein, auch für mich.
Denn ich ärgere mich, wenn ich an der Bushaltestelle im Winter friere. Ich ärgere mich, wenn ich im Sportunterricht auf der Bank sitze und zuschauen muss. Und ich ärgere mich, wenn der Eintrag wiederkommt, weil ich weiß, dass ich es doch besser kann und will.
Es klappt nur eben manchmal einfach nicht.
Was für ein blöder Predigttext, denke ich in lebhafter Erinnerung an meine Jugend. Zehn Frauen, von denen fünf dumm sind. Zehn Frauen, von denen fünf das Himmelreich nicht erleben dürfen. Zehn Frauen, von denen fünf vergesslich waren und von denen eine ich hätte sein können.
Unser Predigttext hat mich heute Morgen gedanklich in meine Jugend und meine Schulzeit zurückgebracht, in meinen Ärger über mich selbst und in die Ungerechtigkeit, die ich damals oft empfunden habe.
Ungerechtigkeit, weil doch jeder mal etwas vergessen kann. Wieso dann gleich ausgeschlossen werden? Das dachte sich vielleicht auch die ein oder andere der fünf, die nicht ausreichend Öl mitgenommen hatte. Das Gleichnis wirkt auf mich als eine Frau, die den Törichten wohl näher ist als den Klugen, ungerecht und hart.
Das Gleichnis im Kontext
Wie sollte ich ausgerechnet heute mit so einem Predigttext über Gottes Güte und Gnade und Gerechtigkeit predigen? Vielleicht müssen wir uns dafür den Predigttext und das Drumherum ein bisschen genauer anschauen.
Der Text steht im Matthäus-Evangelium zwischen zwei weiteren Gleichnissen. Das Gleichnis, das vor diesem Text kommt: Da geht es um einen treuen Knecht, der arbeitet und dafür belohnt wird, und um einen bösen Knecht, der nicht arbeitet und dafür bestraft wird.
Dann kommt das Gleichnis unserer zehn Jungfrauen, und danach steht ein Gleichnis: Da geht es um viel Geld, das von drei Männern verwaltet wird. Einer verwaltet es richtig gut. Einer so okay und einer eher gar nicht gut.
Alle drei dieser Gleichnisse erzählen vom Himmelreich Gottes. Und weil es ein Thema ist, das für uns Menschen so schwer zu verstehen ist, bettet es der Autor des Matthäus-Evangeliums in verschiedene Bilder und Geschichten ein, mit denen wir uns identifizieren können.
Denn Gleichnisse haben nicht unbedingt den Anspruch, historisch korrekt oder detailgetreu zu sein, sondern sie sollen eine Ebene schaffen, auf der wir – du und ich – heute noch eine Vorstellung davon bekommen können, wie Gott über manche Dinge denkt. Wir sollen durch diese Geschichte heute etwas lernen, uns darin wiederentdecken und Gott besser verstehen lernen.
Also versuchen wir es doch einmal.
Hochzeitsbräuche zur Zeit Jesu
In dem Gleichnis geht es um zehn Jungfrauen, die auf eine Hochzeit eingeladen waren. Zur damaligen Zeit war es so, dass die Braut in ihrem Elternhaus auf den Bräutigam wartete. Der kam dann, um sie heimzuholen in sein eigenes Haus.
Mit der Braut zusammen warteten Brautjungfern, das waren unverheiratete Freundinnen der Braut. Und sobald gemeldet wurde, dass der Bräutigam in Sichtweite war, dass er ins Dorf oder an das Haus kam, hatten die Brautjungfern die Aufgabe, dem Bräutigam entgegenzugehen, um ihn zum Haus zu führen.
Und die brennenden Fackeln oder Öllampen, von denen im Gleichnis die Rede ist, waren eine nötige Voraussetzung für dieses Einholen des Bräutigams. Denn früher gab es keine Straßenbeleuchtung. Kann man sich heute vielleicht gar nicht mehr vorstellen. Aber das war natürlich schwierig, weil es dadurch im Dunkeln einfach schwer war, den richtigen Weg zu finden.
Also musste er beleuchtet werden. Und jeder war selbst dafür zuständig. Wer es sich leisten konnte, hatte einen Diener, der ein Licht vorneweg trug. Aber wenn man Gäste erwartete, dann gehörte es dazu, dass man ihnen entgegenging.
Da die Lampen sehr klein waren, mussten die Jungfrauen Ersatzgefäße für Öl dabei haben. Und dann zogen alle zum Haus des Bräutigams, wo die Hochzeitsfeier stattfand.
Müdigkeit, Warten und unsere Kraftlosigkeit
Nun heißt es in unserem Text in Vers 5 wie folgt: „Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.“ Eine andere Übersetzung sagt, er verzögerte sich. Was im Urtext so viel bedeutet wie: Viel Zeit vergeht – länger als erwartet.
Und dann passiert etwas ganz Alltägliches: Die Damen werden müde und schlafen ein. Und hier finden wir vielleicht schon eine erste Antwort auf die Frage, ob dieses Gleichnis wirklich so ungerecht ist, wie es anfänglich schien.
Bis zu dem Zeitpunkt, als der Bräutigam kommt, wird zwischen den zehn Frauen keine Unterscheidung getan. Sie waren alle pünktlich am Haus der Braut. Sie warteten alle gemeinsam, und sie schliefen alle gemeinsam ein.
Wenn man im Leben lange darauf wartet, dass etwas Bestimmtes passiert, dann kann man schon mal müde werden. Ausdauer ist eine Kraft, die eben auch nur über einen bestimmten Zeitraum hinweg hält.
Wenn ein Angehöriger krank wird oder pflegebedürftig, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte. Wenn man gemeinsam auf ein Kind hofft und es will einfach nicht klappen, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte. Wenn eine Beziehung in die Brüche geht und Streit an der Tagesordnung ist, dann kommt man manchmal an das Ende seiner Kräfte.
Ich glaube, dass wir alle Phasen in unserem Leben kennen, in denen wir kraftlos sind. Vielleicht liegt die gerade schon etwas zurück, vielleicht steckst du auch mittendrin.
In diesen Phasen geht uns oft nicht nur die Kraft für die Sache an sich aus, sondern auch die Hoffnung und der Mut zu glauben, dass es bessere Zeiten geben wird.
Umso tröstlicher die Wahrheit aus diesem Text, dass alle zehn Jungfrauen einschliefen. Keine der zehn schaffte es, wach zu bleiben. Nicht die, die unvorbereitet kamen, und nicht die, die vorbereitet kamen.
Das darf uns heute Morgen sagen: Jesus begegnet uns in unseren dunklen Zeiten, in unserer Müdigkeit nicht, um zu sagen: Ihr habt versagt, ihr seid eingeschlafen. Im Gegenteil.
Matthäus 11, 28: „Wenn ihr mühselig und beladen seid, dann kommt her zu mir, denn ich will euch erquicken.“
2. Korinther 12: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Das ist es, was Jesus uns in diesen Stunden zusagt. Niemand wird dafür bestraft, müde zu sein oder am Ende seiner Kräfte. Niemand wird dafür von Jesus bestraft, dass er einmal länger wartet, als er es erwartet hat.
In diesem Gleichnis gibt es keine Einteilung in gute und schlechte Menschen. Nicht in Glaubenshelden oder Versager. Das Gleichnis erzählt von Menschen, die warten und die müde sind. So wie wir.
Es ist okay, wenn du gerade müde bist von den Umständen in deinem Leben. Jesus geht nicht weg, er schaut nicht weg, er lässt dich damit nicht allein und er straft dich vor allem dafür nicht. Denn Gott liebt uns bedingungslos, auch an den müden und kraftlosen Tagen.
Mitternacht – Gottes perfektes Timing
Ich habe vorhin gesagt, historisch gesehen hat dieses Gleichnis nicht unbedingt den Anspruch, ganz korrekt zu sein. Das sieht man vielleicht auch daran, dass die Hochzeit um Mitternacht passiert – nicht ganz die typische Zeit für eine Hochzeitsfeier.
Auch das hat biblisch gesehen seinen Grund. Denn Mitternacht steht in der Bibel für einen Zeitpunkt, in dem Gott besonders oder durch große Wunder wirkt. Das sehen wir in der Passahnacht, als Gottes Engel durch Ägypten ziehen. Oder bei Paulus und Silas, als sie im Gefängnis sitzen, um Mitternacht beten und die Gefängnistüren sich öffnen. Oder eben jetzt hier in diesem Gleichnis, wo es Mitternacht wird und der Bräutigam endlich erscheint.
Was für die Frauen also so scheint, als wäre der Bräutigam zu spät, ist in Wahrheit Gottes perfektes Timing. In der tiefsten Nacht, im scheinbar hoffnungslosesten Moment, geschieht das Entscheidende.
In Vers 6 heißt es: „Um Mitternacht aber erhob sich hocherlautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt, geht hinaus ihm entgegen.“
Advent – die Ankunft des Bräutigams
Was passiert hier in diesem Gleichnis, als der Bräutigam kommt und die Jungfrauen wachgemacht werden? In der griechischen Tradition nennt man das ein Einholungsritual. Das bedeutet: Wenn ein Herrscher oder ein König in die Stadt kommt, wurde ihm entgegengegangen, um ihn einzuholen. Ein „Adventus“.
Und was wissen wir über das Wort Advent? Was bedeutet das Wort Advent? Ankunft. Genau. Das Wort Advent bedeutet Ankunft.
Wenn hier im Gleichnis davon gesprochen wird, dass der Bräutigam ankommt, dann können wir ganz gewiss davon ausgehen, dass Jesus selbst gemeint ist. Er sagt: „Der kommt.“
Das Gleichnis ist ein Zuspruch an uns. Jesus Christus kennt unsere Nöte, unsere Ängste, unsere Trauer, unsere Sorgen. Er weiß, wie sehnsüchtig wir auf Erfüllung warten, auf sein Reich warten, auf Trost warten, auf Gerechtigkeit warten.
Und in unser Warten, in unsere Müdigkeit hinein ruft uns das Gleichnis zu: Das Reich Gottes kommt. Bleibt munter. Bleibt wach. Denn Gott kommt in Jesus. Immer zur richtigen Zeit.
Bis hierher eigentlich ganz schön, finde ich. Aber wir können das Ende dieses Gleichnisses natürlich nicht leugnen. Wir können nicht vergessen und außen vor lassen, dass es fünf der Frauen nicht ins Himmelreich geschafft haben.
Also frage ich mich: Welchen Anspruch stellt dieses Gleichnis neben diesen tollen Zusprüchen an uns?
Drei Impulse aus dem Gleichnis
Der Text nennt uns drei Dinge.
Erstens: genügend Öl dabei haben. In Vers 4 steht: „Die Klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen samt ihren Lampen.“
Für uns heißt das: unsere Beziehung zu Jesus Christus pflegen. Denn das Öl im Gleichnis ist ein weiteres Bild für unsere Beziehung mit Gott. Etwas, das man nicht verleihen oder weggeben kann.
Ich kann einem anderen nicht meinen Glauben geben, meine Gottesbeziehung. Ich kann für andere beten, ja, aber glauben muss jede und jeder für sich selbst.
Das Öl ist das in meinem Leben, was mein Glaubenslicht nährt: zum Beispiel das Vertrauen, das ich im Alltag lebe. Das Gebet, das ich spreche. Die Liebe, mit der ich Menschen begegne. Oder das Hören auf das Wort Gottes.
All das kann mir niemand abnehmen, aber ich kann es eben auch niemandem borgen. Ein Anspruch, den Jesus Christus mit diesem Gleichnis an uns stellt, ist es also, unsere Beziehung zu ihm zu priorisieren, zu pflegen, dran zu bleiben.
Zweitens: Der zweite Anspruch heute Morgen ist, bereit zu sein. In Vers 7 steht: „Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.“ Und Vers 10 sagt dann: „Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.“
Bereit zu sein wird sich daran auszahlen und zeigen, dass wir Jesus Christus erkennen und er uns. Je mehr Zeit wir mit einem Menschen verbringen, umso besser lernen wir ihn kennen.
Wenn man ganz frisch in einer Beziehung ist, dann erkennt man den anderen als erstes am Aussehen. Später reicht dann vielleicht eine Stimme, um zu erkennen, wer der Sprecher am anderen Ende des Telefons ist, wenn mal die Nummer unbekannt ist. Noch viel später reicht dann vielleicht ein Geruch oder der Klang des Ganges, wenn der Mann oder die Frau die Treppe hochkommt. Oder vielleicht sogar noch viel kleinere Dinge.
Je besser wir jemanden kennenlernen, umso eher erkennen wir ihn auch. Mit Jesus und uns ist das ganz genauso. Je mehr wir von ihm wissen, je besser wir ihn kennenlernen, je mehr Zeit wir mit ihm verbringen, umso leichter werden wir ihn erkennen und umso leichter wird er uns erkennen.
Und damit kommen wir auch schon zum dritten Anspruch, den der Text an uns stellt: aufmerksam und wachsam sein. In Vers 13 steht: „Darum wachet, denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“
Wir wissen den Tag und die Stunde unseres Todes oder Jesu Wiederkunft – je nachdem, was eher kommt – nicht. Umso besser, wenn wir darauf vorbereitet sind. Vorbereitet auf das Sterben und den Tod, aber auch vorbereitet auf die unendliche Freude, die damit kommt.
Das Bild vom Hochzeitsmahl ist eines der schönsten Bilder, das für dieses Thema hätte gewählt werden können. Hochzeiten bringen Freude und Hoffnung mit sich. Ein Ausblick auf ein Leben mit einem Partner oder einer Partnerin, die man über alles liebt. Es ist der Ausblick darauf, dass das Leben jetzt so richtig beginnt.
Denn mit dem Tod beginnen wir unser Leben im Himmelreich Gottes. Seit Jesu Auferstehung ist der Tod nicht mehr das Ende unseres Lebens, sondern Jesus wartet mit einem Fest auf uns. Ein Fest, auf das wir uns heute schon freuen dürfen. Ein Fest, vor dem wir keine Sorge haben müssen, denn Jesus Christus hat den Tod überwunden.
Zusammenfassung und Zuspruch
Lasst mich noch einmal zusammenfassen, was wir – was ich – heute Morgen von diesem Text gelernt habe.
Erstens: Gott liebt uns bedingungslos, auch an den Tagen, an denen wir müde und ausgelaugt sind, an denen wir einschlafen, weil wir keine Kraft mehr haben.
Zweitens: Selbst wenn es nicht danach aussieht und sich für uns anfühlt, als wäre er viel zu spät und wir schon viel länger warten, als es gut ist – Gott kommt in Jesus immer zur richtigen Zeit.
Und drittens: Wenn wir unsere Beziehung zu Jesus pflegen, ihn immer besser kennenlernen, bereit sind für den Tag unseres Todes oder für den Tag seiner Wiederkunft, dann dürfen wir uns auf diesen Tag freuen. Denn Jesus Christus spricht: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer lebt und an mich glaubt, der wird niemals sterben.“
Amen.