Ein Standpunkt von Paul Soldan.
Vor mehr als acht Monaten machte sich der Autor auf nach Tansania mit dem Ziel, auszuwandern. Dieser Bericht zeigt zum einen die persönlichen Eindrücke des Autors aus dem Land und gibt zum anderen Einblicke, welchen Weg sein persönliches Auswanderungsvorhaben genommen hat. In kurzen, ausgewählten Geschichten erzählt er über seine Erlebnisse, Wahrnehmungen sowie das Zusammenleben mit der einheimischen Bevölkerung.
*Hinweis vorab: Zum Schutz der Identität wurden die Namen aller in diesem Bericht vorkommenden Beteiligten geändert.
Wie viele andere zog es auch mich im Sommer 2022 aus Deutschland weg nach Tansania – genauer gesagt nach Sansibar. Bis zum finalen Entschluss hatten die Überlegungen mehr als eineinhalb Jahre in mir gearbeitet. Entscheidend dafür, diesen Schritt zu wagen, waren letztlich zwei Punkte: Der Hauptgrund war Corona beziehungsweise der politische und gesellschaftliche Umgang damit. Ich vermutete unter anderem, auch wenn die Einführung der Covid-19-Impfpflicht im Frühjahr 2022 vermeintlich gescheitert war, dass im Herbst ein Wiederaufflammen der Debatte stattfinden würde. Ich traute dem „Frieden“ damals nicht.
Den Zustand innerhalb der Gesellschaft empfand ich auch schon vor 2020 als angespannt, gespalten und mitunter sogar als feindselig. Jedoch hatte mit Pandemiebeginn eine Dynamik eingesetzt, die diese Tendenzen teils bis ins Extrem verstärkt hat. In diesem Zustand kam mir die Gesellschaft am Ende furchtbar zerrüttet vor. Dass sich daran bald etwas ändern würde, sah ich nicht. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass politische Willkür und Gewalt sowie gesellschaftliche Ausgrenzung und Anfeindung ohne eine konsequente, schonungslose Aufarbeitung wie immer unter den Teppich gekehrt werden würden, wodurch dieses fatale, gesellschaftsfeindliche Verhalten bei jeder neuen „Ausnahmesituation“ jederzeit wieder neu erwachen kann.
Und mit Blick auf zukünftig relevante Themen bekam ich vor einem Leben in Europa und besonders in Deutschland Angst. Die Liste dieser Themen ist lang: Die technische und digitale Verschmelzung des Lebens, der vollständige Verlust von Privatsphäre, mögliche Grundrechtseinschränkungen zum Klimaschutz, die offenbar gewollte Zerstörung des Industriestandorts Deutschland und ein daraus resultierendes Herabsenken des Lebensstandards, ein neuer „Kalter Krieg“ und – damals habe ich noch nicht daran geglaubt – die reale Gefahr eines erneuten militärischen Konflikts zwischen NATO und Russland auf europäischem Boden.
Der zweite Grund war eine seit Jahren immense, jedoch nicht greifbare Sehnsucht nach Afrika. Diese beschränkte sich nicht auf ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Kultur. Daher passte es, dass John Magufuli, damaliger Präsident Tansanias, im Sommer 2020 die Pandemie im Land für beendet erklärt und sämtliche Maßnahmen aufgehoben hatte. So wurde Tansania für mich zu einer Art Notfallplan. Und da zunehmend Menschen dorthin abwanderten, gab es immer mehr Erfahrungsberichte über die dortige Situation sowie das Leben. Auch Freunde aus der Heimat zog es nach Sansibar, deren Gegenwart mir die letzte Sicherheit gab, um das Abenteuer zu wagen. Mittlerweile dürfte sich auf Sansibar vermutlich eine der größten deutschsprachigen Communities in ganz Afrika gebildet haben.
Wie Said einen Mzungu im Busch fand
In meinen ersten Wochen auf Sansibar erkundete ich die Umgebung häufig zu Fuß. Ich wanderte über die felsigen Korallensteine durch den Busch und hoffte, auf irgendetwas Interessantes wie einen schönen Platz in der Natur oder unbekannte Tiere zu stoßen. Als ich eines Tages das rund zehn Kilometer entfernte Nachbardorf Mtende besuchen wollte, an dessen Küste ein besonders schöner Strand liegen sollte, machte ich mich ebenso zu Fuß auf den Weg. Damals dachte ich noch recht naiv, dass es dorthin schon eine Straße oder zumindest irgendeinen Pfad geben würde. Nach den ersten Kilometern stand ich jedoch mitten im Busc...