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Gergijew muss gehen – ein fatales Signal | Von Ulrich Teusch


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Ein Standpunkt von Ulrich Teusch.
Am Ende war es keine Überraschung mehr. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat dem mit Abstand prominentesten Angestellten seiner Stadt mit sofortiger Wirkung gekündigt. Waleri Gergijew, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, muss gehen. Der mit Wladimir Putin seit langem befreundete Künstler hatte ein Ultimatum Reiters, sich vom Kriegskurs des russischen Präsidenten zu distanzieren, unbeantwortet gelassen. Die Entscheidung der Stadt München ist in mehrfacher Hinsicht fatal und ein böses Omen für die deutsch-russischen Kulturbeziehungen.
Waleri Gergijew ist ein Weltklasse-Dirigent und begnadeter Musik-Manager. Seit 1996 leitet er das Sankt Petersburger Mariinski-Theater samt dortigem Orchester. Unter seiner Leitung erarbeiteten sich das Haus und sein Klangkörper eine hohe internationale Reputation und erreichten ein künstlerisches Niveau wie vielleicht nie zuvor in ihrer langen Geschichte. Neben seiner Tätigkeit in Sankt Petersburg war Gergijew stets Chefdirigent eines weiteren Spitzenorchesters, so etwa des London Symphony Orchestra und seit 2015 der Münchner Philharmoniker. Er hat einige bedeutende Festivals aus der Taufe gehoben und leitet sie, er kümmert sich um die Förderung des künstlerischen Nachwuchses, also um Dirigenten, Geiger, Pianisten, Sänger... Seine wohl berühmteste Entdeckung ist die Sopranistin Anna Netrebko.
Der aus Nordossetien stammende Gergijew ist vermutlich der gefragteste und meistbeschäftigte Dirigent überhaupt. Seit Jahren stemmt er ein ungemein strapaziöses Programm, ist beinahe jeden Abend irgendwo auf der Welt im Einsatz. Spötter sagen, dass Gergijew wahrscheinlich gar nicht mehr wisse, in welcher Zeitzone er sich gerade befindet. Weil er immer wieder für musikalische Sternstunden sorgt, über ein imponierendes Repertoire verfügt und zahlreiche Einspielungen, darunter etliche Referenzaufnahmen, vorgelegt hat, gilt er vielen als das Nonplusultra in der Dirigentenwelt.
Der Putin-Freund
Trotz seiner außerordentlichen und von kaum jemandem bezweifelten künstlerischen Qualität – unumstritten ist Gergijew nicht. Das hat allein politische Gründe und hängt zusammen mit seiner engen, freundschaftlichen Beziehung zu Putin. Den heutigen russischen Präsidenten kennt und schätzt Gergijew noch aus dessen Sankt Petersburger Tagen. Er hat den politischen Kurs Putins des Öfteren unterstützt, insbesondere – zusammen mit anderen Künstlern des Landes – das russische Vorgehen auf der Krim 2014 gutgeheißen.
Schon Gergijews Amtsantritt in München 2015 war von Kontroversen begleitet, die sich um die Frage drehten, ob man es tatsächlich verantworten könne, einen Putin-Freund zum Chef der Münchner Philharmoniker und damit zum Kulturbotschafter der ach so weltoffenen und liberalen Isar-Metropole zu machen. Gergijew ließ die reichlich kleinkarierte und streckenweise peinliche Diskussion mit erstaunlicher Gelassenheit über sich ergehen, gab eine versöhnliche öffentliche Erklärung ab, trat sein Amt an und hat seither so einiges getan, um das Musikleben der bayerischen Landeshauptstadt und ihres Speckgürtels auf Trab zu bringen.
Reiter versus Gergijew
Gedankt hat man es ihm nicht. Statt nach der russischen Invasion das vertrauensvolle Gespräch mit ihm zu suchen, ist Oberbürgermeister Dieter Reiter gleich in die Offensive gegangen und hat seinem Dirigenten ein Ultimatum gestellt. Dass Gergijew die ihm gesetzte Frist hat verstreichen lassen, ist nur zu verständlich. Was hätte er tun sollen? Die Möglichkeit, sich von Putins Kriegskurs seriös zu distanzieren, hat Reiter ihm genommen. Wohl niemand hätte ein negatives Urteil Gergijews für glaubhaft gehalten. Allenthalben wäre gemutmaßt worden, dass er sich nur dem Druck gebeugt habe, um seinen lukrativen Münchner Job nicht zu verlieren.
Auch die Frage, ob Gergijew sich denn überhaupt von Putin hätte absetzen können, ohne in Russland massiv Schaden zu nehmen,
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