Der neue gewählte Ministerpräsident von Hessen, Boris Rhein, hat nach zehn Jahren gemeinsamer Koalition die Zusammenarbeit mit den Grünen aufgekündigt. Diese hatten bei den letzten Landtagswahlen erhebliche Einbußen erlitten. Handelt es sich dabei nur um einen politischen Partnertausch oder könnten sich da neue gesellschaftliche Entwicklungen andeuten?
Ein Standpunkt von Rüdiger Rauls.
Hochmut kommt vor dem Fall
Nach zehn Jahren erfolgreicher und vertrauensvoller Zusammenarbeit, so der rückblickende Bewertung durch den neuen CDU-Ministerpräsidenten in Hessen, Boris Rhein, will die CDU die Koalition mit den hessischen Grünen nicht weiter fortsetzen. Stattdessen hat sie die SPD ins Regierungsboot geholt, die erste schwarz-rote Hochzeit in Hessen seit Bestehen der Bundesrepublik. Die erfolgsverwöhnten Grünen fielen aus allen Wolken. Empört bezeichneten sie diese Entscheidung als „völlig unverständlich, Es habe keine Wechselstimmung gegeben“(1).
Es schien für die Grünen in den vergangenen Jahren eine Selbstverständlichkeit geworden zu sein, dass ihre Bäume in den Himmel wuchsen. Oftmals waren sie gleichauf mit der SPD, manchmal sogar zweitstärkste Partei. (Die AfD fiel bei solchen Betrachtungen wie immer unter den Tisch.) Kaum noch eine Landesregierung, an der die Grünen nicht beteiligt waren. Bei einigen Mitgliedern der Partei hatten die Wahlergebnisse sogar Begehrlichkeiten auf die Kanzlerschaft geweckt. Was sonst hätte die Zukunft auch noch an Erfolgen bringen können bei dem Lauf, den sie hatten?
Grüne Überheblichkeit und Entfremdung von der Wirklichkeit gingen sogar so weit, dass deren in Bayern gescheiterte Kandidatin Katharina Schulze die eigene Partei als „Regierungsfraktion im Wartestand“ bezeichnete. Dabei hatte sie mit einem Verlust von 3,2 Prozentpunkten die stärksten Abschläge aller angetretenen Bewerber hinnehmen müssen.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sucht die Schuld für den Rauswurf aus dem Machtzirkel bei den anderen. Boris Rhein wolle sich von seinem Vorgänger Bouffier absetzen. Das verdeckt nur dürftig den Eigenanteil an einer Entwicklung, die bereits auch in Berlin zur Bildung einer Koalition unter Ausschluss der Grünen geführt hatte. Der politische Trend scheint gegen die Grünen zu laufen, was man bei diesen aber nicht sehen zu wollen scheint. Und schon gar nicht will man sich mit der eigenen Verantwortung für diese Entwicklung beschäftigen.
Die Koalitionsbildung ohne die Grünen ist das eine, die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen(2) sind das andere. Denn dort haben die Wähler zuletzt sehr deutlich gemacht, was man von dieser Partei mit pädagogischem Anspruch hält. Die Verluste waren beträchtlich, und es sind diese Verluste, die zu neuen politischen Regierungsbündnissen unter Ausschluss der Grünen geführt haben. Denn erfahrene Politiker, die seit Jahrzehnten im politischen Geschäft sind, haben empfindliche Sensoren für die Stimmungen in der Bevölkerung.
Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich diesen Stimmungen und Interessen verpflichtet fühlen. Aber sie versuchen, diesen so weit gerecht zu werden, damit die eigene Stellung in der Gesellschaft und in der Politik erhalten bzw. verbessert werden kann. Dass sich SPD und CDU nun verstärkt von den Grünen abwenden, hängt aber auch mit den Zuwächsen der AfD zusammen. Wie kein anderes Thema hatte die Migration den hessischen Wahlkampf bestimmt.
Die Erfolge der AfD haben besonders bei der CDU zu der Befürchtung geführt, dass die grüne Partei „in zu vielen Politikfeldern, allen voran in der Migrationspolitik den Sprung in die Realität einfach nicht wagen will“(3). Nach der Wahl war der hessischen CDU sehr daran gelegen, mit einem Bekenntnis zur Migrationsbegrenzung, ergänzt durch eine sogenannte Abschiebeoffensive, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dafür schienen ihr die Grünen nicht der geeignete Partne...