Flüchtlinge werden derzeit abermals von allen politischen Strömungen instrumentalisiert.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Ein Kommentar von Hannes Hofbauer.
Massenmigration, und nur um diese soll es in weiterer Folge gehen, löst in unseren Zentrumsgesellschaften die unterschiedlichsten Reaktionen aus. Die politische Rechte macht Migranten, die das erste Opfer untragbarer Verhältnisse sind, zum Sündenbock und baut darauf ihren Rassismus auf. Das grün-liberale Milieu agiert an ihnen ihr Helfersyndrom aus und verweigert Erkenntnisse über die Funktion von Migration. Investoren in vielen Industriebranchen und Dienstleistungssektoren wissen den ständigen Zuzug von billigen Arbeitskräften und den damit einhergehenden Druck auf den Arbeitsmarkt zu schätzen. Versprengte Linksradikale sehen in Migranten das revolutionäre Subjekt, das sich in der autochthonen Bevölkerung nicht entwickeln will. Gewerkschaftlich orientierte Sozialdemokraten erkennen die negativen Auswirkungen von Massenmigration für die Zielländer, getrauen sich aber nicht, diese anzusprechen, um nicht in den Verdacht zu geraten, Rechte zu sein.
Die wenigen verbliebenen Linken, die ihren Marx gelesen und daraus gesellschaftliche Schlüsse gezogen haben, erkennen die Funktion von Migration als gesellschaftlich spalterisch und im Dienste des Kapitals stehend, so wie sie Marx zum Verhältnis von englischen zu irischen Arbeitern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben hatte. Im Jahr 1870 meint er zur Masseneinwanderung von Iren nach England:
„Zweitens hat die englische Bourgeoisie das irische Elend nicht nur ausgenutzt, um durch die erzwungene Einwanderung der armen Iren die Lage der Arbeiterklasse in England zu verschlechtern, sondern sie hat überdies das Proletariat in zwei feindliche Lager gespalten. Das revolutionäre Feuer des keltischen Arbeiters vereinigt sich nicht mit der soliden, aber langsamen Natur des angelsächsischen Arbeiters. (...) Dieser Antagonismus zwischen den Proletariern in England selbst wird von der Bourgeoisie künstlich geschürt und wachgehalten. Sie weiß, dass diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist“ (1).
Über die „erzwungene Einwanderung“, von der Marx schreibt, ist man sich heute wohl bewusst, an ihr hat sich im Grundsatz nichts geändert. Denn die Ursachen, warum es Millionen von Menschen aus weltwirtschaftlichen Randgebieten in die Zentralräume nach Westeuropa (und Nordamerika) zieht, sind bekannt. Sie werden allerdings selten thematisiert.
Krieg und der Verlust von Lebensmöglichkeit in der Heimat entwurzeln die Menschen und treiben sie zur Flucht. Konsequente Friedenspolitik und Kampf gegen weltweite Ungleichheit, die meist von Freihandelsabkommen flankiert wird, würden also Massenmigration bereits im Keim ersticken.
Viele Interessen — von der Rüstungsindustrie bis zu sogenannten „Partnerschaftsabkommen“ zwischen der Europäischen Union und afrikanischen Staaten — stehen dem entgegen.
Der Migrationspakt der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2018, der von den meisten Staaten unterzeichnet wurde, nennt Migration in Punkt 8 „eine Quelle von Wohlstand, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung in unserer globalisierten Welt“. Ohne die Nachfrage, für wen Migration denn eine Quelle des Wohlstands sei,