historycast -  Was war, was wird?

Heimat Europa. Das Ringen um Freizügigkeit in der EU


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4,7: Heiner Wember im Gespräch mit Angela Siebold

"Die europäische Integration ist eine historische Leistung, die wirklich sehr ungewöhnlich ist, weil sie so eine starke friedensschaffende Leistung vor allem darstellt.“, sagt die Historikerin Angelas Siebold im historycast. Sie hat die Geschichte des Schengen-Abkommens erforscht und kommt zu dem Ergebnis, dass nach langen und mühsamen Phasen der Annäherung und Grenzöffnung nun in Krisenzeiten wieder alte Sicherheits- und Schutzbedürfnisse der einzelnen europäischen Staaten dazu führen, sich neu abzuschotten. Dass die 29 Länder des Schengen-Raums die Freizügigkeit innerhalb Europas wieder einschränken. „Die europäische Integration ist nicht von Bestand, wenn man sich dafür nicht einsetzt.“ Grenzen, so Siebold, seien in der Geschichte nie statisch gewesen und müssten immer wieder neu ausgehandelt werden. Und die EU müsse dabei auch die Interessen der außereuropäischen Länder berücksichtigen. „Ich denke, dass eine Kooperationsnotwendigkeit besteht auch mit den Staaten, Gesellschaften, Gruppen, Akteuren, die hinter dieser Außengrenze existieren.“

Dr. Angela Siebold wurde in Heidelberg promoviert. Aus der Arbeit ist ein Buch entstanden mit dem Titel: „ZwischenGrenzen. Die Geschichte des Schengen-Raums aus deutschen, französischen und polnischen Perspektiven“.

Dr. Heiner Wember ist Radiojournalist und Historiker aus Münster.

Staffel 4, Folge 7 des historycast - was war, was wird? des Verbandes der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands e. V.

[http://geschichtslehrerverband.de]

Gefördert wird das Projekt durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.

Heimat Europa: Schengen, das Ringen um Freizügigkeit in der EU

Vor der europäischen Einigung und dem Schengener Abkommen waren Grenzkontrollen, Visumspflichten und bürokratische Hürden beim Grenzübertritt Alltag. Die europäische Integration, insbesondere die Abschaffung der Binnengrenzen im Schengen-Raum, gilt als außergewöhnliche historische Leistung und als Motor für Frieden und Wohlstand.

Symbolische Grenzöffnung und die Vision eines vereinten Europas

Bereits 1950, nur fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, setzten junge Menschen an der deutsch-französischen Grenze mit der symbolischen Zerstörung von Zollschranken ein Zeichen gegen nationale Abschottung. Sie forderten eine Europäische Union und ein gemeinsames Parlament – damals noch eine utopische Vorstellung. Dieses frühe Engagement zeigt, wie stark der Wunsch nach Versöhnung und Zukunft in Europa verankert war.

Grenzen: Mehr als nur Linien auf der Landkarte

Grenzen sind nicht nur geografische, sondern auch soziale, kulturelle und rechtliche Konstrukte. Sie trennen nicht nur Staaten, sondern auch Menschen nach Herkunft, Sprache oder sozialem Status. Die Blockgrenze zwischen Ost und West während des Kalten Krieges erscheint im historischen Rückblick als unnatürlich statisch – tatsächlich sind Grenzen meist das Ergebnis von Aushandlungsprozessen und verändern sich im Laufe der Geschichte.

Von der Montanunion zur Europäischen Union

Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) in den 1950er Jahren war ein entscheidender Schritt zur europäischen Einigung. Ziel war es, durch wirtschaftliche Verflechtung – insbesondere in der Rüstungsindustrie – Kontrolle und Sicherheit zu schaffen und einen erneuten Krieg zu verhindern. Die Montanunion gilt als „Keimzelle der Europäischen Union“. Es folgten weitere Integrationsschritte wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Euratom.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ermöglichte Synergieeffekte, Skaleneffekte und die Vereinheitlichung von Normen. Der gemeinsame Binnenmarkt mit heute rund 450 Millionen Konsumenten stärkte Europas Position im Welthandel und schuf Vorteile für Unternehmen und Arbeitnehmer. Gleichzeitig brachte die Harmonisierung zahlreiche Herausforderungen, da nationale Interessen, Sprachen und Kulturen berücksichtigt werden mussten.

Schengen: Symbol für grenzenloses Europa

Der kleine Ort Schengen im Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Benelux wurde 1985 zum Synonym für den Abbau der Grenzkontrollen in Europa. Das Schengener Abkommen ermöglichte erstmals weitreichende Freizügigkeit für Bürger und Waren in weiten Teilen Europas. Die Initiative dazu ging maßgeblich von Deutschland und Frankreich aus, insbesondere von den Staatschefs Helmut Kohl und François Mitterrand, die einen neuen Integrationsschritt wagten.

Fazit: Europäische Integration als fortwährender Prozess

Die europäische Integration ist das Ergebnis von jahrzehntelangen Verhandlungen und Kompromissen. Sie brachte nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern vor allem Frieden und Stabilität auf einem Kontinent, der von Kriegen und Feindschaften geprägt war. Dennoch bleibt sie fragil und auf das Engagement der Bürger angewiesen. Denn durch zunehmende eigenmächtige Grenzkontrollen werden die Freizügigkeit und der Warenverkehr in der EU behindert.

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historycast -  Was war, was wird?By Dr. Almut Finck und Dr. Heiner Wember