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Holodomor – Völkermord gegen die Ukraine? | Von Hermann Ploppa


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Ein Kommentar von Hermann Ploppa.


Der Deutsche Bundestag als selbsternannte Historikerkommission und als Akteur in der ukrainisch-russischen Propagandaschlacht. Statt längst überfälliger Deeskalation wird Öl ins Feuer gegossen.

Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit am vergangenen Mittwoch, dem 30. November 2022, eine Resolution verabschiedet, die in mehrfacher Hinsicht zu denken gibt <1>. Der Deutsche Bundestag hat nämlich im Namen des Deutschen Volkes festgelegt, dass die furchtbare Hungersnot, die sich in den Jahren 1932 bis 1933 in der Sowjetunion abgespielt hat, und an deren Folgen Millionen Sowjetbürger elend verstorben sind, ein Akt des Völkermordes gegen das Volk der Ukrainer gewesen sei. Diese humanitäre Katastrophe ging in die Geschichte ein als Holodomor. Holodomor bedeutet auf Deutsch: Hunger-Plage oder Hungersnot. Diese Hunger-Plage trat allerdings nicht nur in der Ukraine auf, sondern auch im Wolgabecken und in Teilen Kasachstans. Es ist unstrittig, dass das Stalin-Regime im Zuge der Zwangskollektivierung bedeutende Mengen der Getreide-Ernte beschlagnahmte und sogar ins Ausland exportierte, um an dringend benötigte Devisen heranzukommen. Unter Historikern ist somit einzig umstritten, welches Motiv die Sowjetregierung bei diesen Zwangsenteignungen von Lebensmitteln angetrieben hat. Da die Quellenlage nicht ganz einfach ist, stochern die Historiker ein bisschen im Nebel: handelt es sich hier um einen groben Managementfehler der Sowjetführung? Oder nahmen Stalin und seine Erfüllungsgehilfen den massenhaften Tod von unschuldigen Zivilisten billigend in Kauf, um die widerstrebende Bevölkerung quasi durch Hungerfolter gefügig zu machen? Oder wollte Stalin gar bestimmte Völkerschaften und deren Kultur systematisch auslöschen?
Während also für Historiker die Sache gar nicht klar ist, weiß nun der Deutsche Bundestag seit Neuestem ganz genau, dass die Sowjetführer ganz gezielt das Volk der Ukrainer auslöschen wollten. Nun wird sich der geneigte Leser fragen: was hat denn der Bundestag mit solchen Themen zu tun? Zunächst einmal: es handelt sich hier natürlich nur um eine Resolution, oder auch: Entschließung. Das ist in keiner Weise rechtlich bindend und stellt nur eine Art Stimmungsbild der Abgeordneten dar. Und es ist zudem eine Reaktion auf ein pseudo-plebiszitäres Element unserer Demokratie. Diese Resolution wurde nämlich angestoßen durch zwei so genannte Petitionen. Im Fall von Petitionen sammeln Bürger Unterschriften und schicken diese dann an den zuständigen Bundestags-Fachausschuss: „Der Bundestag möge beschließen …“  So hatten ukrainische Aktivisten bereits 2012 eine Petition eingebracht, dass der Bundestag den Holodomor als gezielten Genozid einstufen solle. Das wurde 2017 zurückgewiesen. Doch die Eskalation des Konflikts mit Russland verbesserte die Chancen eines erneuten Vorstoßes im Jahre 2018 <2>. Und aufgrund dieser Petition hat jetzt der Bundestag seine Resolution mehrheitlich verabschiedet. Man sieht, ob Petitionen den Weg zur Bundestagsabstimmung finden, hängt von politischen Interessenlagen ab. Die Befreiung von Julian Assange als politischen Gefangenen haben unzählige Petitionen bereits gefordert <3>. Jedoch ist das politisch nicht opportun – man will ja schließlich nicht unsere amerikanischen Verbündeten verärgern. Also landen solche Petitionen mit schöner Regelmäßigkeit im Papierkorb.


Und wenn auch die aktuelle Bundestagsresolution zur Feststellung des Holodomor als Genozid gegen Ukrainer keine normative Kraft besitzt, so entfaltet sie dennoch ihre Wirkung. Zum Einen wird eine Festlegung im ukrainisch-russischen Propagandakrieg die Beziehungen zu Russland weiter massiv verschlechtern.

Wenn die Resolution des Bundestags der Wahrheit entspräche, könnte man diesen Effekt gerne in Kauf nehmen. Doch dass dem nicht so ist, werden wir noch sehen. Die Beziehung zwischen Politik,
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