Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Als sich Kanzler Scholz am Montag, dem 3. November 2022, mit den Chefs von BASF, Deutsche Bank, Siemens, BMW, Volkswagen, Merck und Biontech aufmachte, um zum Antrittsbesuch nach Peking zu fliegen, empfing die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ihre G7-Partner im Friedenssaal des Rathauses von Münster/Westfalen, in dem 1648 nach dem 1. Dreißigjährigen Krieg der Westfälische Frieden besiegelt worden war.1) Zuvor hatte das Außenministerium das historische Kreuz für die G7-Beratungen aus dem Friedenssaal abhängen lassen. Nicht nur die christlichen Kirchen und der Zentralrat der Muslime reagieren verständnislos.2)
Dafür zeigte ein vielsagendes Foto aus dem Friedenssaal einen zufriedenen US-Außenminister Antony Blinken, der Baerbock am Haupttisch flankierte. Blinkens Unterstaatssekretärin Victoria Nuland, die Strippenzieherin beim "Maidan"-Putsch im Februar 2014, war ebenfalls im Bild.3) Eine größere transatlantische Nähe und eine größere Dissonanz zur Politik des Kanzlers war nicht mehr zu demonstrieren.
Zwei Tage zuvor hatte Baerbock (Grüne) bei einem Besuch in der zentralasiatischen Republik Usbekistan auf Änderungen in der deutschen China-Politik gepocht und deutlich gemacht,
„dass wir als Bundesregierung eine neue China-Strategie schreiben, weil das chinesische Politiksystem sich in den letzten Jahren massiv verändert hat und damit sich auch unsere China-Politik verändern muss“4).
Für diese neue China-Strategie hat die Konrad-Adenauer-Stiftung bereits im Juli 2022 das kriegstreibende Strategiepapier verfasst: „Ende der Naivität – Deutschland und die EU im globalen Wettbewerb zwischen den USA und China“.5) In diesem Wettbewerb geht es um nichts weniger als um den Gegensatz einer unipolaren oder multipolaren Weltordnung.
Im ultimativen Tonfall hatte Baerbock weiter gefordert, das Scholz in Peking die "Botschaften" des Koalitionsvertrags übermittle: Anstatt Wirtschaftskooperation scharfe Menschenrechtskritik an China.6) Wie kommt Frau Baerbock dazu, im Ausland den eigenen Regierungschef offen zu attackieren? Es ist ein weder entschuldbarer noch hinnehmbarer Affront.
Annalena Baerbock, die Befürworterin einer unipolaren, das heißt einer von den USA dominierten Welt, sagte, sie erwarte, dass Scholz Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zentrale Botschaften der Bundesregierung übermittele. Peking müsse deutlich gemacht werden,
„dass die Frage von fairen Wettbewerbsbedingungen, die Frage von Menschenrechten und die Frage der Anerkennung des internationalen Rechts unsere Grundlage der internationalen Kooperation ist“7)
Diesen Forderungen kann sicherlich die gesamte Weltgemeinschaft zustimmen, insofern sie von denjenigen, die sie fordern, auch ernst genommen und umgesetzt werden. Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff des werteorientierten Westens auf Restjugoslawien werden von USA/NATO/EU das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen jedoch mit Füßen getreten.
Mit ihrem Auftreten in Usbekistan und wenige Tage später in Münster hat Frau Baerbock ihre Kompetenzen weit überschritten, denn nach Artikel 65 GG.8) bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Diese vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen hat Frau Baerbock derart überschritten, dass dem Kanzler nur die Entlassung der Außenministerin bleibt. Nun, das wird wohl Blinken nicht zulassen. Oder wird Scholz es Gerhard Schröder nachmachen, dem es im Frühjahr 2003 gelang, den eigenwilligen und selbstherrlichen Außenminister Joseph Fischer einzubinden und zugleich zu entmachten?9)
Gespannt wartete die Welt am 4. November auf die Pressestatements von Bundeskanzler Scholz, Ministerpräsident Li Keqiang und Chinas Staatspräs...