Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Nur wer in die Geschichte schaut, versteht die Gegenwart. Es gab zwar einige Angriffe gegen Botschaften während meiner Lebenszeit, aber nur wenige schrieben Geschichte. Einer ragt natürlich heraus, das war der Sturm auf die US-Botschaft in Teheran 1979 und die anschließende Geiselnahme(1). Von der man inzwischen annimmt, dass sie bewusst zugelassen worden war, um Fotos zu erhalten, mit denen der Iran dämonisiert werden konnte. Whistleblower hatten berichtet, wie die wichtigsten Spione und Diplomaten vor der Besetzung gewarnt worden waren und aus dem Land gebracht wurden, und Diplomatenakten im Schredder landeten(2). Und nun beginnt in Niger eine Botschaftsbelagerung Frankreichs, weil sich der Botschafter weigert, der Aufforderung der neuen Regierung nachzukommen, das Land zu verlassen. Bahnt sich hier ein ähnlicher Fall an? Soll eine Stürmung der Botschaft provoziert werden, um Bilder für die westlichen Medien zu erhalten, mit der eine militärische Aktion gegen das Land begründet werden soll? Aber zunächst noch mal Berichte und Einschätzungen von nicht westlichen Analysten zu der Krise in der Sahelzone.
Mit indischen Augen
Es hatte sich angedeutet, dass die USA ihre Politik gegenüber Niger ohne Absprache mit Frankreich betreiben, und ohne Rücksicht auf dessen historischen Ansprüche. Nun schreibt der indische Ex-Diplomat M.K. Bhadrakumar, „Die Revolution in Niger nimmt eine bonapartistische Wendung“(3).
Er meinte am 23. August, dass die andauernden Unruhen im westafrikanischen Staat Niger eine merkwürdige Wendung nähmen, die eine binäre Sichtweise von "Neokolonialismus und Imperialismus" versus "nationale Befreiung" nicht mehr zuließen. Nigers Putschisten würden den Vereinigten Staaten Avancen machen, und die russische Militärfirma Wagner PMC auf Distanz halten, - zumindest in der damaligen Phase des Machtwechsels.
Die Schnelligkeit, mit der Washington Kathleen FitzGibbon, eine Afrika-Spezialistin mit geheimdienstlichem Hintergrund, wie er betont, als neue Botschafterin in Niamey eingesetzt hat, signalisiere angeblich, dass die Diplomatie der bevorzugte Weg ist, wobei aber alle Optionen auf dem Tisch blieben.
Bezeichnenderweise stellte die Washington Post in einem Leitartikel fest, dass
"die beiden Armeen [der USA und Nigerias] in den letzten zehn Jahren eng zusammengearbeitet haben: Die Offiziere sind miteinander vertraut, und Nigers Generäle gelten nicht als antiamerikanisch".
Ebenso werde in der Mitteilung des US-Außenministeriums über Botschafterin FitzGibbon hervorgehoben, dass ihr eiliger Auftrag darauf abzielt,
"die Bemühungen um eine Lösung der politischen Krise in dieser kritischen Zeit zu unterstützen" und dass ihr "diplomatischer Schwerpunkt darin bestehen wird, sich für eine diplomatische Lösung einzusetzen".
Interessanterweise beschränke sich der Bericht auf die Forderung nach der Freilassung des gestürzten Präsidenten und seiner Familienangehörigen und ignoriere die frühere spezifische Forderung nach seiner Wiedereinsetzung. Der Bericht deute darauf hin, dass die US-Diplomatie ihr Netz weit auswerfe und sich nicht auf die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) beschränke.
Am Vorabend der Ankunft von Botschafterin FitzGibbon in Niamey brachte die New York Times ein Interview mit Ali Lamine Zeine, dem designierten Premierminister von Niger. Mit Sicherheit, so der Ex-Diplomat, habe Zeine, der oberste zivile Beamte der Militärjunta, im Namen der Generäle gesprochen und sich an das westliche Publikum gewandt. Zeines Äußerungen deuteten darauf hin, dass die herrschende Kabale in Niamey ein schlauer Haufen sei, der auf lange Sicht eine direkte Zusammenarbeit mit den USA anstrebe. In der Tat sei die ECOWAS nach dem ersten persönlichen Treffen mit dem Putschisten General Abdouramane Tchiani am Wochenende selbst gespalten.