
Sign up to save your podcasts
Or
Im Rahmen von akuten und chronischen Lebererkrankungen kommt es häufig zu pathologischen Veränderungen des Gerinnungssystems. Während dies historisch vor allem im Sinne einer Verschiebung des hämostatischen Systems in Richtung Blutung gedeutet wurde, hat sich das Verständnis dieser Veränderungen im Laufe der letzten Jahre grundlegend verändert und wird heute als rebalanciertes Gleichgewicht auf reduziertem Niveau (Punchline 1) verstanden (Lisman et al., 2022; Tripodi et al., 2017).
Praktischer Umgang mit laborchemisch gemessenen Veränderungen im Rahmen von Lebererkrankungen:
Die gängigen plasmabasierten Standardlabortests der Gerinnung (PTZ/Quick/INR, aPTT, Fibrinogenspiegel) bilden das rebalancierte Gleichgewicht bei Patient:innen mit Lebererkrankungen nicht ab. Typischerweise wird durch diese Tests nur die Abnahme der prokoagulatorischen Proteine gemessen, wohingegen der gleichzeitige Verlust endogener Antikoagulanzien (Protein C, Protein S, Antithrombin) nicht erfasst wird. In einer 2005 im Journal of Hepatology veröffentlichten Arbeit konnten Tripodi et al. zeigen, dass bei Patient:innen mit Leberzirrhose die Thrombinbildung trotz ausgelenkter konventioneller Gerinnungstests normal ist (Tripodi et al., 2005). Standardgerinnungstests sind also nicht geeignet, um präoperativ das Blutungsrisiko von Patient:innen mit Lebererkrankungen vorherzusagen. Insbesondere ist eine prophylaktische präoperative Korrektur plasmabasierter Standardgerinnungstests (PTZ, Quick, INR) z.B. durch die Gabe von Prothrombinkomplexkonzentrat oder Fresh Frozen Plasma (FFP) nicht indiziert und kann ein unter Umständen bereits bestehendes erhöhtes Thromboembolierisiko noch weiter aggravieren (Punchline 2: keine prophylaktische Korrektur von Laborwerten).
Nichtsdestotrotz korreliert beispielsweise die INR gut mit einer fortschreitenden Leberfunktionsstörung, weshalb dieser Parameter ein häufig genutzter Baustein der prognostischen Klassifikationssysteme Child-Pugh und MELD bleibt.
Bei chronischen Leberfunktionsstörungen kommt es überdies häufig zum Auftreten von Thrombozytopenien mit Thrombozytenzahlen < 100G/L. Diese niedrigen Thrombozytenwerte bei Patient:innen mit Lebererkrankungen werden unter anderem aber durch einen reaktiven Anstieg des vom Endothel synthetisierten von-Willebrand-Faktors (VWF) kompensiert, sodass auch diesbezüglich typischerweise von einer fragilen Rebalance ausgegangen werden kann (Lisman et al., 2006).
Ab welchem Grenzwert eine Thrombozytopenie vor einem invasiven Eingriff korrigiert werden sollte, ist in der Literatur nicht eindeutig beantwortet. Die präinterventionelle Gabe eines Thrombozytenkonzentrates wird jedenfalls _NICHT _bei Werten > 50 G/L empfohlen. Abbildung 1 stellt die uneinheitlichen Empfehlungen aktueller Leitlinien bei niedrigeren Thrombozytenzahlen dar (Roberts et al., 2022). Die Gabe eines Thrombozytenkonzentrates bleibt also eine individuelle Einzelfallentscheidung.
Intraoperatives Management von Blutungen bei Patient:innen mit Lebererkrankungen:
Wie bei jedem blutungsriskanten Eingriff ist auch bei Patient:innen mit Lebererkrankungen darauf zu achten, dass die notwendigen Rahmenbedingen für eine funktionierende Hämostase gegeben sind:
Übergeordnetes Ziel dieser viskoelastischen Algorithmen ist es, dem klinischen Kontext entsprechend, die richtige hämostatische Intervention zur richtigen Zeit und in der richtigen Reihenfolge zu setzen sowie nicht notwendige Interventionen zu vermeiden. Dieses Vorgehen spiegelt sich auch in einer rezent veröffentlichten Empfehlung der Konsensuskonferenz der Internationalen Lebertransplantationsgesellschaft (ILTS) wider, die eine viskoelastisch gesteuerte Gerinnungssubstitution auch im Rahmen einer Lebertransplantation empfiehlt, da sich dadurch sowohl die Transfusionsrate als auch die Kosten reduzieren lassen (Pollok et al., 2023). Im Einklang damit konnte in einer 2023 veröffentliche Metaanalyse gezeigt werden, dass der Einsatz viskoelastischer Tests zu einer signifikanten Reduktion von transfundierten Erythrozytenkonzentraten und FFPs führt, ohne dass das veränderte Substitutionsprofil von Faktorkonzentraten die Inzidenz thromboembolischer Ereignisse erhöht (Aceto et al., 2023).
Zusammenfassend ist das Thema Gerinnung bei Lebererkrankungen nach wie vor komplex und spannend. Der klinische Umgang mit diesem Patient:innenkollektiv hat sich in den letzten 25 Jahren drastisch gewandelt. Die Patient:innen haben nicht automatisch eine Blutungsneigung und sind nicht „natürlich antikoaguliert“, wie früher fälschlich angenommen. Stattdessen herrscht ein rebalanciertes Gleichgewicht auf niedrigem Niveau, das nach derzeitigem Kenntnisstand leichter in beide Richtungen entgleisen kann. Somit spielen in der perioperativen Betreuung dieser Patient:innen sowohl Blutungen als auch Thrombosen eine relevante Rolle (Ambrosino et al., 2017).
Angaben und Empfehlungen hinsichtlich klinischer Handlungen und Maßnahmen, sowie über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten, müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung, übernehmen die Ersteller dieses Podcasts keinerlei Haftung für inhaltliche Fehler. Dieser Podcast ersetzt keine medizinischen Lehrbücher, Leitlinien, Fachinformationen oder eine ausführliche Literaturrecherche.
Wir danken unseren Sponsoren für die finanzielle Unterstützung:
Im Rahmen von akuten und chronischen Lebererkrankungen kommt es häufig zu pathologischen Veränderungen des Gerinnungssystems. Während dies historisch vor allem im Sinne einer Verschiebung des hämostatischen Systems in Richtung Blutung gedeutet wurde, hat sich das Verständnis dieser Veränderungen im Laufe der letzten Jahre grundlegend verändert und wird heute als rebalanciertes Gleichgewicht auf reduziertem Niveau (Punchline 1) verstanden (Lisman et al., 2022; Tripodi et al., 2017).
Praktischer Umgang mit laborchemisch gemessenen Veränderungen im Rahmen von Lebererkrankungen:
Die gängigen plasmabasierten Standardlabortests der Gerinnung (PTZ/Quick/INR, aPTT, Fibrinogenspiegel) bilden das rebalancierte Gleichgewicht bei Patient:innen mit Lebererkrankungen nicht ab. Typischerweise wird durch diese Tests nur die Abnahme der prokoagulatorischen Proteine gemessen, wohingegen der gleichzeitige Verlust endogener Antikoagulanzien (Protein C, Protein S, Antithrombin) nicht erfasst wird. In einer 2005 im Journal of Hepatology veröffentlichten Arbeit konnten Tripodi et al. zeigen, dass bei Patient:innen mit Leberzirrhose die Thrombinbildung trotz ausgelenkter konventioneller Gerinnungstests normal ist (Tripodi et al., 2005). Standardgerinnungstests sind also nicht geeignet, um präoperativ das Blutungsrisiko von Patient:innen mit Lebererkrankungen vorherzusagen. Insbesondere ist eine prophylaktische präoperative Korrektur plasmabasierter Standardgerinnungstests (PTZ, Quick, INR) z.B. durch die Gabe von Prothrombinkomplexkonzentrat oder Fresh Frozen Plasma (FFP) nicht indiziert und kann ein unter Umständen bereits bestehendes erhöhtes Thromboembolierisiko noch weiter aggravieren (Punchline 2: keine prophylaktische Korrektur von Laborwerten).
Nichtsdestotrotz korreliert beispielsweise die INR gut mit einer fortschreitenden Leberfunktionsstörung, weshalb dieser Parameter ein häufig genutzter Baustein der prognostischen Klassifikationssysteme Child-Pugh und MELD bleibt.
Bei chronischen Leberfunktionsstörungen kommt es überdies häufig zum Auftreten von Thrombozytopenien mit Thrombozytenzahlen < 100G/L. Diese niedrigen Thrombozytenwerte bei Patient:innen mit Lebererkrankungen werden unter anderem aber durch einen reaktiven Anstieg des vom Endothel synthetisierten von-Willebrand-Faktors (VWF) kompensiert, sodass auch diesbezüglich typischerweise von einer fragilen Rebalance ausgegangen werden kann (Lisman et al., 2006).
Ab welchem Grenzwert eine Thrombozytopenie vor einem invasiven Eingriff korrigiert werden sollte, ist in der Literatur nicht eindeutig beantwortet. Die präinterventionelle Gabe eines Thrombozytenkonzentrates wird jedenfalls _NICHT _bei Werten > 50 G/L empfohlen. Abbildung 1 stellt die uneinheitlichen Empfehlungen aktueller Leitlinien bei niedrigeren Thrombozytenzahlen dar (Roberts et al., 2022). Die Gabe eines Thrombozytenkonzentrates bleibt also eine individuelle Einzelfallentscheidung.
Intraoperatives Management von Blutungen bei Patient:innen mit Lebererkrankungen:
Wie bei jedem blutungsriskanten Eingriff ist auch bei Patient:innen mit Lebererkrankungen darauf zu achten, dass die notwendigen Rahmenbedingen für eine funktionierende Hämostase gegeben sind:
Übergeordnetes Ziel dieser viskoelastischen Algorithmen ist es, dem klinischen Kontext entsprechend, die richtige hämostatische Intervention zur richtigen Zeit und in der richtigen Reihenfolge zu setzen sowie nicht notwendige Interventionen zu vermeiden. Dieses Vorgehen spiegelt sich auch in einer rezent veröffentlichten Empfehlung der Konsensuskonferenz der Internationalen Lebertransplantationsgesellschaft (ILTS) wider, die eine viskoelastisch gesteuerte Gerinnungssubstitution auch im Rahmen einer Lebertransplantation empfiehlt, da sich dadurch sowohl die Transfusionsrate als auch die Kosten reduzieren lassen (Pollok et al., 2023). Im Einklang damit konnte in einer 2023 veröffentliche Metaanalyse gezeigt werden, dass der Einsatz viskoelastischer Tests zu einer signifikanten Reduktion von transfundierten Erythrozytenkonzentraten und FFPs führt, ohne dass das veränderte Substitutionsprofil von Faktorkonzentraten die Inzidenz thromboembolischer Ereignisse erhöht (Aceto et al., 2023).
Zusammenfassend ist das Thema Gerinnung bei Lebererkrankungen nach wie vor komplex und spannend. Der klinische Umgang mit diesem Patient:innenkollektiv hat sich in den letzten 25 Jahren drastisch gewandelt. Die Patient:innen haben nicht automatisch eine Blutungsneigung und sind nicht „natürlich antikoaguliert“, wie früher fälschlich angenommen. Stattdessen herrscht ein rebalanciertes Gleichgewicht auf niedrigem Niveau, das nach derzeitigem Kenntnisstand leichter in beide Richtungen entgleisen kann. Somit spielen in der perioperativen Betreuung dieser Patient:innen sowohl Blutungen als auch Thrombosen eine relevante Rolle (Ambrosino et al., 2017).
Angaben und Empfehlungen hinsichtlich klinischer Handlungen und Maßnahmen, sowie über Dosierungen, Applikationsformen und Indikationen von pharmazeutischen Spezialitäten, müssen vom jeweiligen Anwender auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Trotz sorgfältiger Prüfung, übernehmen die Ersteller dieses Podcasts keinerlei Haftung für inhaltliche Fehler. Dieser Podcast ersetzt keine medizinischen Lehrbücher, Leitlinien, Fachinformationen oder eine ausführliche Literaturrecherche.
Wir danken unseren Sponsoren für die finanzielle Unterstützung: