Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Es ist Donnerstag, und wir schauen wieder einmal mit den Augen des Globalen Südens auf die Welt. Natürlich wurde schon viel darüber geschrieben, wann der Krieg der NATO gegen Russland, oder aus der Sicht der NATO, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die „westlichen Werte“ begann. Während die Ersteren erklären, dass es mit dem Bruch des Versprechens „keine Osterweiterung“ begann, meinen die Letzteren, das der Krieg im Februar 2022 startete. Nun will ich ja aus der Sicht des Globalen Südens berichten, und deshalb zu Beginn über einen Artikel im Middle East Eye, welcher die ständig wiederholte Aussage des Westens analysiert, es handele sich bei dem Konflikt um einen „unprovozierten Angriffskrieg“ Russlands gegen die Ukraine.
Verräterische Wiederholungen
Jonathan Cook beginnt seinen Artikel (1) damit, zu erklären, dass es oberflächlich plausibel klang, die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Truppen und Panzer in sein Nachbarland zu schicken, als einen "unprovozierten Akt der Aggression" zu bezeichnen. Sollte seine Invasion unangefochten bleiben, stelle er eine Bedrohung für den Rest Europas dar. Und, mag man hinzufügen, man erinnere sich daran, dass jeder, der etwas anderes sagte, mit den Protagonisten der Appeasement Politik gegenüber Hitler verglichen wurden.
Doch dieses Narrativ erscheine zunehmend fadenscheinig, zumindest wenn man über die etablierten Medien hinaus liest, meint der Autor. Jeder, der in den vergangenen elf Monaten die unerbittlichen Bemühungen um eine Eskalation des Konflikts - die zu unsäglichem Leid und Tod führen, die Energiepreise in die Höhe schießen lässt, zu globaler Nahrungsmittelknappheit führen und letztlich einen nuklearen Schlagabtausch riskieren - in Frage gestellt habe, werde als Verräter an der Ukraine angesehen und als Apologet Putins abgetan, und, das sei hinzugefügt, in Deutschland auch schon teilweise von der Justiz verfolgt.
Andersdenkende werden nicht geduldet
Nur sechs Monate bevor Putin in die Ukraine einmarschierte, habe Präsident Joe Biden das US-Militär nach zwei Jahrzehnten Besatzung aus Afghanistan abgezogen. Es sei die Erfüllung eines Versprechens gewesen, Washingtons "ewige Kriege" zu beenden, die, wie Biden gewarnt habe, "uns unsagbar viel Blut und Schätze gekostet haben".
Das implizite Versprechen war, dass die Regierung Biden nicht nur die US-Truppen aus den "Sumpfgebieten" des Nahen Ostens - Afghanistan und Irak - nach Hause holen, sondern auch dafür sorgen würden, dass keine US-Steuern mehr ins Ausland fließen. Doch seit dem Einmarsch Russlands habe sich diese Annahme in Luft aufgelöst, berichtet Cook. Zehn Monate später sehe es so aus, als sei dies nie Bidens Absicht gewesen.
Letzten Monat genehmigte der US-Kongress eine gigantische Aufstockung der größtenteils militärischen "Unterstützung" für die Ukraine, wodurch sich die offizielle Gesamtsumme in weniger als einem Jahr auf etwa 100 Milliarden Dollar erhöht habe, wobei zweifellos noch viel mehr von den Kosten vor der Öffentlichkeit verborgen werde. Das sei weit mehr als Russlands jährlicher Militärhaushalt von insgesamt ca. 65 Milliarden Dollar. Washington und Europa haben demzufolge die Ukraine mit Waffen versorgt, darunter auch mit immer mehr Offensivwaffen. Ermutigt davon, habe Kiew das Schlachtfeld immer tiefer auf russisches Gebiet verlagert.
Wie ihre ukrainischen Kollegen sprächen auch US-Beamte davon, dass der Kampf gegen Russland so lange andauern werde, bis Moskau "besiegt" oder Putin gestürzt sei, was zu einem weiteren "ewigen Krieg" führe, wie ihn Biden gerade abgeschworen hatte - diesmal in Europa und nicht im Nahen Osten.
Letzten Monat habe Nato-Chef Jens Stoltenberg gewarnt, dass ein direkter Krieg zwischen dem westlichen Militärbündnis und Russland eine "reale Möglichkeit" sei. Einige Tage später sei der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij bei einem Überraschungsbesuch ...