Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Es ist wirklich schwer, bei den vielen fundamentalen Ereignissen in der Politik dieser Tage, über etwas zu schreiben, das eher Hintergrund als aktuell ist. Wie gerne würde ich über den Haftbefehl des IStGH gegen Putin berichten. Aber nein, ich habe versprochen meine Meinung über Lula zu überdenken. Also hier ist sie: Schon vor der Wahl von Brasiliens neuen Präsidenten, hatten Stimmen gewarnt, dass Lula die Seiten gewechselt habe, und er nicht mehr der vehemente Vertreter des Multipolarismus sei, der er einmal war. Ich hatte das als Propaganda angesehen, um Lulas Wahl zu verhindern. Nun wird die Vermutung immer drängender, dass Lula im Gefängnis nicht wie Nelson Mandela seinen Gefängniswärter bekehrte, sondern selbst eingenordet wurde, zukünftig besser mit den USA zu kooperieren. Zwar, so scheint es, darf er seine Politik der Unterstützung der armen Schichten des Landes weiterführen, und auch hinsichtlich der BRICS-Teilhabe hat sich noch kein Anzeichen ergeben, dass Lula Brasilien aus dem Multipolarismus zugunsten eines Vasallentums zurückziehen könnte. Aber es gibt zweifellos eine größere Nähe zur Politik der Partei von US-Präsident Biden, als vor seinem Gefängnisaufenthalt. Dieser Beitrag will versuchen zu erklären, was an Lulas Politik für den Globalen Süden so verstörend ist, und welche Folgen für die Geopolitik von BRICS+ zu erwarten sind.
Die Vorgeschichte
In einem Grundsatzartikel vom 23. Februar (1) hat Andrew Korybko die Entwicklung der causa Lula aus seiner, einer sehr russischen Sicht, zusammengefasst. Es sind insgesamt 17 Artikel, beginnend am 31. Oktober 2022 bis zum 21. Februar 2023. Eine beeindruckende Liste, die erklärt, warum die Partei Lulas versuchte, den Autor medial anzugreifen.
Seine wichtigsten Argumentationspunkte waren:
1) Die USA unterstützen Lula aufgrund seiner engen Übereinstimmung mit den Ansichten der Democrat Party;
2) die Außenpolitik seiner dritten Amtszeit sei US-freundlicher als die der ersten beiden;
3) Lulas G20-ähnlicher Friedensvorschlag diene lediglich der Eigenwerbung;
4) die Verurteilung Russlands sei verdächtig; und
5) die Unterstützung von Soros für Lula sei es auch.
Dann erklärt er, wie die US- und andere Medien versuchten, seine Artikel durch Angriffe auf Glaubwürdigkeit und Voreingenommenheit als Putin-Troll zu entwerten. Nun sind seine Artikel tatsächlich äußerst freundlich in Hinsicht auf die Politik Russlands, und er macht keinen Hehl daraus. Jedoch zu behaupten, er sei ein Autor für den russischen Geheimdienst ist gerade deshalb lächerlich.
Der Nach-Wahl-Analyse folgte dann ein weiterer Artikel (2), indem Lula gemeinsam mit der US-Regierung und ihren Verbündeten eine Resolution unterstützte, welche Russland wegen seines Eingreifens im Ukraine-Krieg verurteilte.
Nun hatte ich bis dahin die erkennbare Freundlichkeit Lulas gegenüber der US-Regierung mit Diplomatie gerechtfertigt gesehen, um an Einfluss zu gewinnen. Allerdings war es verstörend, dass diese Freundlichkeit so weit ging, die Beziehung zu Russland zu stören. Korybko schreibt, dass es stimme, dass Moskau sich durch diese jüngste Entwicklung nicht von seinem Wunsch abbringen lassen wird, die Beziehungen zu Brasilien umfassend zu stärken, aber es bestehe kein Zweifel daran, dass Russland seine Einschätzung der weitergehenden Absichten Lulas neu justieren werde.
Das seien keine Spekulation, sondern beruhten auf den Aussagen eines russischen Spitzendiplomaten bei der UNO. In Anbetracht dessen könne man sagen, meint der Autor, dass Lulas Entscheidung, seine Diplomaten diese antirussische Resolution unterstützen zu lassen, in der Tat darauf abzielte, die Informationskriegsführung des Westens und seine militaristische russophobe Linie zu unterstützen. Er hätte sich wie seine BRICS-Kollegen der Stimme enthalten können, habe sich aber stattdessen entschieden, sich auf die Seite der USA zu stellen.