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Mediennachwuchs gesucht | Von Michael Meyen


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Die Kritik am Journalismus der Leitmedien setzt in den Redaktionen an und verliert so Rekrutierung und Ausbildung aus dem Blick.


Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Ein Kommentar von Michael Meyen
Wer heute „irgendwas mit Medien“ machen will, lernt das Handwerk in aller Regel im Betrieb. Praktikum, Hospitanz, freie Mitarbeit, Volontariat, Journalistenschule. Die alten Hasen, so sagt man dort, werden schon dafür sorgen, dass sich die Spreu vom Weizen trennt, und aus Talenten echte Könner machen. Deshalb sei es auch okay, den jungen Leuten wenig oder gar nichts zu bezahlen. All das ist eine Nebelkerze. Eigentlich geht es um Anpassung, Konformität und Homogenität. Wer sich einfügt, darf bleiben und wird sich später nicht wundern oder gar beschweren, wenn Politiker anrufen, Anzeigenkunden oder Geheimdienste. Jede Reform muss deshalb bei der Ausbildung ansetzen. Die Freie Akademie für Medien & Journalismus bietet einen Studiengang jenseits der Konzerne und will so auch die Qualität der Oppositionsmedien verbessern.
Im Rückblick mutet das seltsam an. Ich bin von einer Welt in eine andere gekommen und habe einfach geschluckt, was man dort für gut und richtig hielt, obwohl es allem widersprach, was ich vorher gelernt und damit auch geglaubt hatte. Ich spreche von der Journalistenausbildung. Genauer: Ich bin ein Kind der Journalistenausbildung, großgezogen in der DDR.
Die Eltern waren dort getrennt und trafen sich eigentlich nur zweimal zur Übergabe. Meine Mutter hieß Ostsee-Zeitung. Ein Regionalblatt der SED. Ich bin dort sehr früh Volkskorrespondent geworden, vermutlich gleich, als ich einigermaßen fehlerfrei schreiben konnte. Kuchenbasar, Sportberichte. Solche Sachen. Der Junge war in der Zeitung und würde irgendwann Sportreporter sein. Davor stand ein Volontariat, immer noch bei der Mutter. Ein Jahr in einer Lokalredaktion, für mich verkürzt auf zwei Monate, weil ich mich zu drei Jahren Wehrdienst verpflichtet hatte.
Der Vater war in diesen wenigen Wochen ein Dauerthema. Streng gehe es dort zu. Und vor allem: Die vier Jahre, die ich dort verbringen würde, seien vergeudete Zeit. Dort lernst Du nichts, Michael, im Gegenteil. Man wird Dir das Schreiben verleiden. Fast alle Kinder haben das so gehört. Trotzdem führte kein Weg an diesem Vater vorbei. Ich wollte studieren. Ich wollte ein Diplom. Und das gab es für jemanden wie mich nur an der Sektion Journalistik der Leipziger Universität. Dieser Vater, auch das gehörte zu den Dauerthemen im Volontariat, nahm nicht jeden. Man musste von der Mutter delegiert werden — was nicht jedem gelang — und dann eine Aufnahmeprüfung bestehen.
Eine Woche in Bad Saarow. Recherchieren, schreiben, diskutieren — umgeben von lauter anderen übereifrigen Kindern. Wer den Vater für sich gewinnen konnte, sah die Mutter erst kurz vor dem Abschluss wieder — oder auch gar nicht. Das Schicksal der Absolventen besiegelte eine Lenkungskommission und damit die führende Partei. Ich mochte die Ostsee-Zeitung nicht besonders und habe mir deshalb schon im ersten Studienjahr einen Hochzeitstermin besorgt — mit einer Frau aus Sachsen. Das Kalkül: Vielleicht ließen sie mich ja an der Uni in Leipzig weitermachen und ersparten mir so den Rückweg nach Norden.


Heute weiß ich, dass die Praktiker dieses System bekämpft haben. Sie wollten nicht, dass Akademiker entscheiden, wer Journalist werden darf. Und sie wollten erst recht nicht, dass diese Akademiker dem Nachwuchs auch noch den Kopf verdrehen.

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