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Minsk II als Finte | Von Bernd Murawski


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oder ein Wandel der deutschen Russlandpolitik
Ein Kommentar von Bernd Murawski.
In russischen Medien wurde die Stellungnahme Angela Merkels mit Bestürzung aufgenommen, wonach das Minsker Abkommen dem Zweck gedient hätte, die Ukraine zu stärken. Die implizite Annahme, dass diese Position bereits bei Vertragsschluss bestanden habe, wird jedoch nicht durch Fakten gestützt. Ebenso wenig dürfte Wladimir Putin einer Täuschung aufgesessen sein.
Wurde der Kreml durch Deutschland und Frankreich beim Abschluss der Minsker Vereinbarungen hinters Licht geführt? Wenn sich ehemalige Regierungschefs zu früheren Absichten äußern, hat dies meist Auswirkungen auf die Gegenwart. Um die Relevanz solcher Aussagen für spätere Entscheidungen beurteilen zu können, müssen sie jedoch im Kontext der damaligen Ereignisse gesehen werden. Eine korrekte Einordnung von Merkels Worten erfordert daher einen Blick zurück auf die Lage in der Ukraine seit Sommer 2014.
Als Minsk I Anfang September 2014 verabschiedet wurde, befand sich das durch den Maidan-Putsch an die Macht gelangte Kiewer Regime in militärischer Bedrängnis. Zuvor konnte es größere Teile der Donbass-Oblaste erobern, die von den ostukrainischen Separatisten kontrolliert wurden. Da die ukrainische Armee gespalten und weitgehend handlungsunfähig war, stützte sich Kiew in erheblichem Umfang auf Söldnerverbände, die von Oligarchen finanziert wurden und überwiegend einer ultranationalistischen Agenda folgten.
Die Donbass-Republiken, die sich im Mai mit einem Referendum von Kiew trennten, rekrutierten ihr Militär aus den Reihen der Berkut-Einheiten und der zerfallenden Armee. Nachdem sie während des Sommers in die Defensive gerieten, erhielten sie massive Unterstützung durch russische Freiwillige, woraufhin sie im August eine Gegenoffensive starteten. Der in Minsk I vereinbarte Waffenstillstand kam somit Kiew entgegen, das Zeit für die Aufstockung und Neuformierung seiner Militärkräfte erhielt. Weitere Kämpfe im Vorzeitraum des Abkommens von Minsk II, das im Februar 2015 unterzeichnet wurde, brachten keine größeren Veränderungen an der Front.
Merkels Aussagen, die sie in einem „Zeit“-Interview machte und die vom früheren französischen Präsidenten François Hollande unterstützt wurden, werden vielerorts derart interpretiert, dass der Zweck der Minsker Vereinbarungen in der Stärkung der Ukraine bestanden hätte. Hier die entscheidende Passage:


„Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben. Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen.“

Merkel bezieht sich erkennbar auf das erste Minsker Abkommen. Der betrachtete Zeithorizont reicht allerdings bis in die Gegenwart, da sie von der heutigen Stärke der Ukraine spricht. Dennoch lässt sich aus ihren Worten nicht ableiten, dass damals kein deutsches Interesse an der Umsetzung von Minsk II bestand. Eine relativierte Interpretation ihrer Aussage könnte lauten, dass die Minsker Vereinbarungen ein Nebenaspekt waren und das primäre Vorhaben der westlichen Garantiemächte in der militärischen Stärkung der Ukraine bestand. Da Kiew dadurch in die Lage versetzt würde, den Donbass gewaltsam zu übernehmen, hätte eine solche Zielvorgabe jedoch dem Geist von Minsk II widersprochen. In diesem Fall wäre die russische Seite berechtigt, die westlichen Garantiemächte der Unehrlichkeit zu bezichtigen und sich hintergangen zu fühlen.
Merkels Absichten und Erwartungen
Mancherorts wird die Meinung vertreten,
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