Ein Standpunkt von Paul Soldan.
Er quietscht, ächzt und klagt. Als würde er unter diesem lauten, hohen Stöhnen seine gesamte Anstrengung zum Ausdruck bringen, die es ihm abverlangt, das Wasser aus dem Boden hochzutransportieren. Fließendes Wasser gibt es nicht – hier in diesem Dorf mitten in Tansania. Ganz gleich, ob für das Zähneputzen, Duschen, die Toilette, Kaffee, Tee oder Frühstück: jeder Tropfen Wasser, der dafür benötigt wird, muss aus dem alten Brunnen im Hof gepumpt werden. Sein Stöhnen ist das erste weckende Geräusch am Morgen. Jeden Morgen. Und da dies der einzige Brunnen in der Umgebung ist, kommt die halbe Nachbarschaft jeden Tag, um Wasser zu holen. So herrscht auf dem kleinen Gelände immer Leben.
Diejenigen, die es sich leisten können, haben einen riesigen Wassertank auf dem Grundstück, der an alle Hausleitungen angeschlossen ist. Dadurch wird ein Brunnen überflüssig. Jedoch ist dies die Ausnahme. Die meisten Häuser im Dorf sind klein und schlicht, mit einer Wohnfläche von 20 bis 40 Quadratmetern. Viele davon wurden aus vor Ort gebrannten Steinblöcken gebaut, andere auch aus Ziegeln, wodurch sie an die Backsteinbauten in Norddeutschland erinnern, und wieder andere aus einfachem Lehm.
In den drei kleinen Schlafzimmern schlafen insgesamt immer mindestens sechs Personen; in der Regel sind es aber eher sieben bis acht. Häufig wohnen auch Kinder von Freunden für einige Tage mit im Haus, wenn diese zu viel Arbeit haben oder verreisen müssen. Dann wächst die Familiengemeinschaft ganz einfach um ein paar weitere Mitglieder an. Der Begriff „Familie“ wird hier deutlich anders, elastischer und nicht so strikt abgetrennt wie bei uns verstanden. Onkel und Tanten können gerne mal als Vater und Mutter bezeichnet werden und Cousins, Cousinen und enge Freunde als Bruder und Schwester.
Versucht man noch zu Beginn das Quietschen des Brunnens zu ignorieren und weiterzuschlafen, ist das mit den ersten Stimmen am Morgen (leise geredet wird eigentlich nie), spätestens aber mit dem Krähen der Hähne, sowohl auf als auch außerhalb des Hofes, nicht mehr möglich. Mitunter kommt es vor, dass einer von ihnen sich in der Tageszeit irrt und mitten in der Nacht anfängt, einen höllischen Lärm zu veranstalten. Ein Hahn auf einem der Nachbargrundstücke scheint sich dann provoziert zu fühlen und hält gegen. Das Spiel dauert einige Minuten, bis beide begriffen haben, dass es erst ein Uhr morgens ist.
Der Schlaf ist nun endgültig vorüber. Zudem ruft die Natur: also aufstehen. Das Moskitonetz über dem Bett wird zusammengebunden, Toilettenpapier nicht vergessen und dann ab nach draußen. Die Hocktoilette befindet sich im Hof. Unabhängig davon, welche Geschäfte man gerade abwickelt: Für die Beseitigung sämtlicher Spuren gibt es einen kleinen Kanister Wasser mit einer Schöpfkelle aus Plastik – ebenso in der Duschzelle nebenan. Das klassische Badezimmer nach westlichem Standard bleibt den Vermögenden vorbehalten, die sich auch einen Wassertank leisten können. Anschließend wird die Zahnbürste aus dem Schlafzimmer geholt und mit einer Hand voll Brunnenwasser der Mund befeuchtet. Auch die Zähne werden im Hof geputzt. Generell werden hier sehr viele Tätigkeiten, für die wir in Deutschland eigene Räume und andere Gewohnheiten haben, draußen verrichtet.
Für den Frühstücks-Chai oder -Kaffee gibt es ein kleines Gaskochfeld, auf dem auch die Reste des Abendessens aufgewärmt werden können. Größere Mahlzeiten werden jedoch draußen im Hof in einem engen, luftigen Holzverschlag zubereitet. Ein Mittagessen für sechs bis acht Personen nimmt auf diese Weise zwei bis vier Stunden Zeit in Anspruch. Gekocht wird mit Holz oder Holzkohle und in Töpfen aus Aluminium. Edelstahl-, gute Emaille- oder andere hochwertig beschichtete Töpfe und Pfannen gibt es nicht – höchstens für viel Geld in den Supermärkten der großen Städte. Aber für die Leute in den ländlichen Gebieten besteht das Angebot überwiegend aus Aluminium und Plastik.