Viktor Orbán auf Friedensmission
Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
In der aktuellen Krise konnte sich am 1. Februar 2022 Ungarns Regierungschef Viktor Orbán in einem fast fünfstündigen Treffen mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin austauschen. Putin wiederholte seine Forderungen nach Sicherheitsgarantien für Russland und warnte vor einer Kriegsgefahr in Europa, sollte die Ukraine Mitglied der Nato werden. Seiner Ansicht nach will sich die Ukraine die Schwarzmeer-Halbinsel Krim unbedingt und notfalls mit Gewalt zurückholen. Putins Befürchtungen sind nicht unbegründet. Trat doch am 11.
März 2021 die ukrainische VERORDNUNG DES PRÄSIDENTEN DER UKRAINE N2117 / 2021 "Über Entbesetzung und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol" in Kraft.(1) Die Bevölkerung auf der Krim hat am 16. März 2014 in einem deutlichen Votum für den Anschluss an die Russische Föderation gestimmt. Sollten diese mehrheitlich prorussisch eingestellten Krimbewohner gegen ihren Willen den Russlandfeinden in Kiew zugeschlagen werden?
Das würde dann einen weiteren Bürgerkrieg bedeuten. Um die Menschen in der Ukraine, in Russland oder auf der ganzen Welt scheint es also nicht zu gehen. Es geht ausschließlich um handfeste wirtschaftliche und geopolitische Interessen – wie sie der britische Geograph Halford Mackinder 1904 in seiner Herzlandtheorie formuliert hat. Das "Herzland" liegt im Zentrum von Eurasien und in der russischen Einflusssphäre (von der Wolga bis zum Jangtsekiang - vom Himalaya zur Arktis).(2) Nach Mackinders materialistisch geprägtem Menschenbild stehen die Menschen im Rahmen ihrer Bedürfnisse nach Sicherheit und Wohlstand miteinander im Wettbewerb um Territorium und Ressourcen.
Anfang 1909 hatte Lord Kitchener– der "Held von Khartum"(3) – gegenüber dem bayerischen Hauptmann im Generalstab Karl Haushofer ganz unbefangen von der Unvermeidlichkeit eines großen Krieges gesprochen, „der wahrscheinlich England wie Deutschland ihre Herrenstellung am Pazifik …kosten müsse und für die Amerikaner und Japaner geführt werden würde.“(4)
Tatsächlich trieb dann die Welt unaufhaltsam einem Inferno entgegen.
Am 29. Mai 1914 schrieb der amerikanische Präsidentenberater Colonel House während seines Europa-Besuchs aus der US-Botschaft in Berlin an Wilson: «[…] Das wird eines Tages noch zu einer Katastrophe kommen, […] da gibt es zu viel Hass, zu viele Eifersüchteleien. Sobald England einverstanden ist, werden Frankreich und Russland Deutschland und Österreich in die Zange nehmen.»(5)
Da lag er nicht falsch.
Knapp einen Monat später, wenige Tage vor Kriegsausbruch, warnte Kardinal John Murphy Farley, Erzbischof von New York, auf dem Eucharistischen Weltkongress in Lourdes (22.–26. Juli 1914): «Der Krieg, der in Vorbereitung ist, wird ein Kampf zwischen dem internationalen Kapital und den regierenden Dynastien sein. Das Kapital wünscht niemanden über sich zu haben, kennt keinen Gott oder Herrn und möchte alle Staaten als großes Bankgeschäft regieren lassen. Ihr Gewinn soll zur alleinigen Richtschnur der Regierenden werden. […] Business […] einzig und allein.»(6)
Und am 31. Juli 1914, nur Stunden vor Kriegsbeginn und dem Tag seiner Ermordung, warnte der französische Historiker und Sozialist Jean Jaurès: «[…] Hier in Frankreich arbeiten wir mit allen Gewaltmitteln für einen Krieg, der ausgefochten werden muss, um ekelhafte Begierden zu befriedigen und weil die Pariser und Londoner Börsen in Petersburg spekuliert haben […]; man sucht den Krieg, den man schon lange schürt.“(7) Sollte der Krieg ausbrechen,“ dann wird er sich gleich einer Seuche verbreiten und zum schrecklichsten Völkermord seit dem Dreißigjährigen Krieg führen.“(8)
Während Orban in Moskau seine Friedensfühler ausstreckt, stärkten in Kiew der britische Premier Boris Johnson und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dem ukrainischen Präsid...