Aufbauend zur letzten Folge, in welcher das klassische Hilfsmittel, der Langstock, betrachtet wurde, geht es heute um Leitlinien und Leitsysteme. Leitlinien gibt es auch für sehende Menschen. Sie folgen Straßen und wegen und laufen in der Regel nur in Ausnahmen querfeldein. Für blinde Menschen stellt sich die Frage, wie man verschiedene Leitlinen verfolgen kann. Wie kann man einigermaßen geradeaus gehen, ohne dauernd vom Weg abzukommen? Wie bekommt man mit, dass die Straße eine Kurve macht? All das bekommen sehende Menschen sehr früh schon mit. Häuserwände können mit dem Stock oder auch der Hand entlang verfolgt werden. Bordsteine können mit dem Stock entlanggegangen werden. Bordsteinkanten kündigen auch Kurven an. Eine wesentliche Erkenntnis im Orientierungs- und Mobilitätstraining muss sein, dass man begreift, dass Leitlinien generelle Umweltmuster darstellen, deren Verfolgung und Interpretation sich auch an unbekannten Orten anwenden lässt. Sehende verfolgen oft auch taktile Leitlinien, indem Sie versuchen sich nachts, ohne Licht zu machen, durch die Wohnung, beispielsweise zur Toilette zu bewegen. Sie tasten sich an Möbeln und Türen entlang und finden so ihren Weg, oder auch nicht. In jedem Fall entwickelt sich eine innere Landkarte. Die besteht bei blinden Menschen dann eher aus Bordsteine, Rabatten, Häuserwänden, aber auch aus statischen Dingen, wie Mülltonnen, Blumenkübeln, Gitter, Masten und weiterem. Es gibt zwei Fernsinne, das Sehen und das Hören, wobei der Sehsinn noch deutlich weiter reicht. Der Langstock verlängert den Umweltradius für den Tastsinn. Nicht überall sind jedoch Leitlinien vorhanden. Straßen und Plätze müssen meist frei überquert werden. Auf dem Land gibt es häufig keine Bordsteine in Neubaugebieten. Es gibt auch akustische Leitlinien, so können manche blinde Menschen Hauswände hören. Sie müssen dann nicht ständig mit dem Stock oder der Hand sich daran entlang hangeln. Manche überqueren Straßen, indem sie akustisch auf das gegenüberliegende Gebäude zulaufen. Bei dieser Technik wird die Tatsache ausgenutzt, dass jeder Mensch Trittschall erzeugt. Der Langstock stellt eine weitere Geräuschquelle dar, deren mit Umweltinformation beladene Reflektion ausgewertet und zur Verbesserung der Orientierung als Leitlinie verwendet werden kann. Hört die Hauswand rechts auf, dann weitet sich der Raum akustisch. Grünstreifen können von manchen ebenfalls gehört werden. Das Gehör ins Leitsystem zu integrieren ist mit die höchste Schule eines Mobilitätstrainings. Desto länger jemand erblindet ist, desto jünger er zum Zeitpunkt war, desto eher kann diese Technik erlernt und vervollkommnet werden. Bei geburtsblinden Menschen ist sie meist sehr verbreitet. Eine weitere akustische Leitlinie kann Verkehr sein, der einem die Gehrichtung vorgibt. Ein Ziel des Unterrichts ist es, dass man auch lernt frei zu gehen und nicht ständig eine Leitlinie benötigt. Die Leitlinie wird dann zur Grenze. (...)