An postmodernen Linken ist nichts links
Ein Standpunkt von Anke Behrend.
Glaubt man den Veranstaltern, folgten Hunderttausende am 20. und 21. Januar der allgemeinen Mobilmachung zu Protesten „Gegen Rechts“ (1). So verzeichnete ein Bündnis „Demonstrationen gegen Rechts – DGS“ auf seinem Flyer allein in Bayern 230 bayerische bzw. Münchner Unterstützer, Antifa, NGOs, Gewerkschaften und Kultureinrichtungen (2). Fraglos eine beachtliche Leistung mit breiter politischer und medialer Unterstützung. Im Lichte der Coronaproteste, deren Organisationsstrukturen sich 2020 erst formieren mussten und von Beginn an auf massiven staatlichen Widerstand gestoßen waren, fällt sie allerdings weniger beeindruckend aus. Niemand auf diesen Demonstrationen „gegen Rechts“ musste Repressalien fürchten, Mut oder Zivilcourage war nicht vonnöten. Obschon einige selbstergriffene Teilnehmerinnen auf Schildern Vergleiche mit 1933 vor sich hertrugen. Und wo Hass bis dato keine Meinung war, skandierte man nun in vielen Städten Slogans wie „Ganz Bremen hasst die AfD“ (3).
Hier protestierte der regierungskonforme Mainstream, die Gefolgschaft des postmodernen linksorientierten Polit-Establishments gegen den einen ultimativen Widersacher: Rechts. Der wahre Konflikt allerdings liegt ganz woanders und es gibt gute Gründe, ihn nicht zu benennen. Es ist der Konflikt zwischen Oben und Unten.
Historische Wurzeln
Der Ursprung des Konflikts zwischen Links und Rechts liegt nicht erst in der Französischen Revolution des späten 18. Jahrhunderts. Das als „Links“ bezeichnete Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung existiert, seit es Herrschaft und Knechtschaft gibt. Hegel argumentierte in seiner gleichnamigen Abhandlung im Sinn der späteren Standpunkt-Theorie, dass Knechtschaft einen Erkenntnisvorteil im „Für-andere-sein“ hervorbrächte, während Herrschaft im „Für-sich-sein“ verharrt. (4)
Diese dynamische Verfasstheit der Gesellschaft, bestehend aus dem Gegensatz von Unten und Oben, Progressiven und Konservativen, ist in Hegels Betrachtung eingeschrieben. Spätere Linke bezeichneten ihn als Hauptwiderspruch, während alle anderen gesellschaftlichen Bruchlinien als Nebenwidersprüche galten (5).
Soziale Bewegungen – und dies ist ihnen wesentlich – entstehen von unten und fordern Machtstrukturen heraus. Andernfalls handelt es sich nicht um soziale Bewegungen, sondern um Astroturfing. Sklavenaufstände von der Antike bis in die Neuzeit (6), Bauernkriege und Reformation (7) sind historische Beispiele lange bevor in Folge der französischen Revolution die Begriffe Links und Rechts aus der Sitzordnung im ersten demokratischen Parlament abgeleitet wurden (8).
Konservierung von Machtstrukturen
Am oberen Ende der Macht akkumulieren sich von jeher Interessen und Ressourcen, die bestehende Machtverhältnisse konservieren und ausbauen wollen – nicht nur gegen Bestrebungen von unten, sondern vor allem gegen Konkurrenz auf der gleichen Ebene. Ein wichtiger Machtfaktor ist dabei die Zustimmung der Massen. Jedes Herrschaftssystem tut gut daran, dem Volk neben akzeptablen Lebensbedingungen auch die notwendige Indoktrination angedeihen zu lassen, nicht nur um Aufstände zu verhindern, sondern um für die Machterhaltung ergebene Untertanen, fleißige Steuerzahler und für den Kriegsfall loyale Soldaten zu formen, die ihr ureigenes Interesse zu leben, für „Volk und Vaterland“ opfern: „Die Waffen liefern die Reichen, die Armen die Leichen!“, eine zeitlose Wahrheit.
Konformität der Massen
Im neoliberalen Westen hätte die Systemkonformität seit den 1990er Jahren größer kaum sein können. Seit Jahrzehnten wachsender Wohlstand und außer etwas Geplänkel um harmlose Zugeständnisse existierten im Vergleich zu anderen Weltregionen keine nennenswerten sozialen Unruhepotenziale, obschon die Beteiligten das anders sehen mögen.
Nach dem Fall des Ostblocks war sogar das Ende der Geschichte ausgerufen worden (9).