apolut Podcast Archive - apolut.net

Raus aus dem Kampfmodus! | Von Marcus Zeller


Listen Later

Bevor wir eine bessere Gesellschaft anstreben, sollten wir uns Klarheit darüber verschaffen, was wir uns eigentlich unter „Freiheit“ vorstellen.


Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Ein Standpunkt von Marcus Zeller.
Nicht alles war in der „alten Normalität“ frei. Es gab Einschränkung. Jedoch gab es für Menschen in Deutschland zumindest immer eine Alternative zum Konformismus. Wir konnten uns zurückziehen und uns auf den Standpunkt stellen, der ganze politische Kram ginge uns nichts an. Heute ist das anders. Der Staat und die angepasste Mehrheit verhalten sich zunehmend zudringlich und vereinnahmend. Wir haben nicht mehr die Freiheit, nicht reagieren zu müssen. Wir müssen mitgehen oder kämpfen. Der Gleichschritt lässt die persönliche Überzeugung für die meisten Makulatur werden. Der Kampf „gegen“ kettet uns jedoch an das Bekämpfte. Unsere Energien sind gebunden durch den Freiheitskampf, insofern sind wir unfrei. Um unser Feindbild zu pflegen, müssen wir Teile von uns abspalten und im Außen bekämpfen. Wenn wir also eine Welt erschaffen wollen, in der Freiheit als Wert wirklich existiert, müssen wir zuerst ein klares Verständnis des Begriffs entwickeln.
„Mensch ärgere dich nicht!“ — warum kann ein Spiel mit einem solchen Namen überhaupt einen Reiz haben? Die einfache Antwort lautet: Weil sich der Mensch gerne ärgert. Er quält sich sogar gerne. Wie sonst ist eine Geschichte anders zu verstehen, die in Summe die scheinbare Unfähigkeit des Menschen zum Frieden bezeugt?
Freiheit ist eben erst vor dem Kontrast der Unfreiheit erfahrbar. Es dauerte Jahrhunderte, bis viele beispielsweise religiösen Aberglauben und die damit verbundene Unfreiheit durch mächtige Institutionen wie die römisch-katholische Kirche durchschauten und ablegen konnten. Die Furcht vor einem bedrohlichen Jenseits haben die meisten Menschen endlich weitestgehend überwunden.


Doch offensichtlich erscheint mit jeder errungenen Freiheit ein neues Level oder ein neues Kapitel in der Geschichte unserer moralischen Evolution in Form einer neuen Unfreiheit.

Die Epoche der Aufklärung ermöglichte das gegenwärtige Technologiezeitalter, in dem nicht nur die ganze Welt für grundsätzlich versteh- und erklärbar gilt, sondern auch mehr oder weniger stillschweigend davon ausgegangen wird, dass der Mensch, insbesondere der Wissenschaftler, imstande ist, jede Herausforderung zu lösen.
Diese stille Konvention macht auch die gegenwärtige Krise erst möglich. Wir fühlen uns nicht als eingebundener und integraler Bestandteil einer freundlichen und förderlichen Mitwelt, sondern als ihr gegenübergestellt. Die Welt ist kein Oikos, keine Heimat mehr, sondern sie erscheint uns gefährlich. Wir müssen unsere Existenz deshalb sichern und verteidigen. Die Krise folgt dem Duktus: der Mensch gegen den Rest der Welt.
Der Mensch befindet sich in einem ständigen Kampf, weil alles zur Bedrohung geworden ist. Nicht mehr der Teufel mit seinen Versuchungen bedroht uns; der Teufel sitzt in neuem Gewand überall. Wir befinden uns ständig im Kampf — zumindest mit Worten — gegen den Hunger, gegen den Klimawandel, gegen die Sonneneinstrahlung, gegen die Armut, gegen die Ausbeutung, gegen die Arbeitslosigkeit und gegen Viren. Politischer Diskurs ist deshalb immer auch Kampfrhetorik.
Natürlich, es ist ein Kampf für das Gute, das Richtige, für die Gesundheit, für die Gerechtigkeit. Doch im Kampf ist wenig Platz für Freiheit. Aber auch für die müssen wir kämpfen!
...more
View all episodesView all episodes
Download on the App Store

apolut Podcast Archive - apolut.netBy apolut Podcast Archive - apolut.net